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Kultur: Fosters gläserne Attraktion: Ein neues Dach für die Welt

Nicht nur die Berliner Museumslandschaft wird von schöpferischen Wehen durchgerüttelt. Auch die Londoner Kunstfreunde blicken auf ein bewegtes Jahr zurück.

Nicht nur die Berliner Museumslandschaft wird von schöpferischen Wehen durchgerüttelt. Auch die Londoner Kunstfreunde blicken auf ein bewegtes Jahr zurück. Tate Modern, das ehemalige E-Werk, das seit Mai die nicht-britischen Bestände der Tate Gallery beherbergt, erwies sich als der Kassenmagnet, den man eigentlich vom Millennium Dome erhoffte: Bisher haben mehr als drei Millionen Neugierige die virtuos inszenierte, aber eher dürftige Sammlung besichtigt.

Ende November eröffnete Prinz Charles eine neue Abteilung im Somerset House. Das Somerset House gegenüber dem National Theatre ist der letzte Überlebende der prächtigen Paläste, die sich britische Adlige im 18. Jahrhundert an der Themse bauten. Später zogen hier das Finanzamt und andere Behörden ein. In den letzten Jahren wurden sie nach und nach hinausgedrängt. Die Absicht ist, das ganze gewaltige Anwesen eines Tages mit Ausstellungen zu füllen - alles mit privaten Mitteln, wohlgemerkt. Den Anfang machte die Sammlung des Courtauld Institute of Arts, deren Stärken bei den Impressionisten und Postimpressionisten liegen. Im vergangenen Jahr folgte die Arthur Gilbert Collection, Bestecke, Schnupftabakdosen und anderes Kunstgewerbe. Und nun kam eine Filiale der Petersburger Eremitage hinzu.

Den russischen Museen geht es schlecht. Dem Staat fehlt das Geld, sie angemessen zu subventionieren, es regnet durch die Dächer, die Konservatoren fürchten um die Substanz ihrer vernachlässigten Schätze. Auch die Besucherzahlen gehen zurück. Michail Borisowitsch Pjotrowskij, der Direktor der Eremitage, wusste Rat. Nach dem auch in Russland geltenden Naturgesetz, dass eine Hand die andere wäscht, traf er mit einigen der großen Häuser des Westens Abmachungen, aus denen beide Seiten Nutzen ziehen: Amsterdam erhält als Leihgabe einige der wundervollen Rembrandts, die die Zaren kauften, und wird im Gegenzug die Kosten für die Restauration der Säle übernehmen, in denen die Bilder gewöhnlich hängen. Mit dem Guggenheim Museum in New York schloss Pjotrowskij einen ähnlichen Handel. Den royalistischen Briten überließ er 500 Stücke aus dem Besitz der großen Katharina - bei einem Gesamtbestand von drei Millionen ein zu verschmerzendes Opfer. Die fünf Säle im Somerset House, in denen das fremde Gut ausgestellt ist, wurden von russischen Handwerkern wie ein Flügel der Eremitage hergerichtet: Von der Wandbespannung bis zum Parkett, von den Stühlen bis zum letzten Türgriff sieht alles genauso aus wie im Winterpalast. Katharinas gewaltiger Esstisch, gleichfalls eine Kopie, kann von Sponsoren für imperiale Dinnerparties gemietet werden. Im Übrigen fließt vom Eintrittspreis (6 Pfund) ein Pfund an den freundlichen Leihgeber. Das alles klingt ein wenig nach Disneyland, und feinfühlige Gemüter mögen sich an dem unverhüllt kommerziellen Charakter des Unternehmens (einschließlich Andenkenladen) stoßen. Doch, wie ein anderer Kaiser bemerkte, Geld stinkt nicht, und die Petersburger haben es bitter nötig. Wer will, übersieht die Kopien und hält sich an die Originale. Ausgestellt sind erlesene Geschmeide, Porzellan, Hausrat aller Art, Münzen, die von Katharina besonders eifrig gesammelten Gemmen und eine Perücke aus Silberfäden, die sie bei festlichen Anlässen trug. Büsten der großen Philosophen, mit denen die wissensdurstige Dame korrespondierte, fehlen ebensowenig wie Porträts einiger ihrer Liebhaber - Grigorij Orlow, mit dessen Hilfe sie ihren halbverrückten Gatten beseitigte, Alexander Lanskoy, dem der übermäßige Genuss von Liebestränken zum Verhängnis wurde, und Grigorij Potemkin, der Erbauer der sprichwörtlichen Dorfattrappen auf der Krim, die Wohlstand vortäuschen sollten. Ein Gemälde und eine Porzellanfigurine zeigen Katharina hoch zu Ross. Gerüchte, die begeisterte Reiterin habe mit ihren Pferden gelegentlich die Position getauscht, sind Unsinn.

Gestern war die nächste Einweihung fällig. Königin Elisabeth übergab in höchsteigener Person den von Norman Foster überdachten Innenhof des British Museum der Öffentlichkeit. Bisher war der 8000 Quadratmeter große Hof nie recht zur Geltung gekommen. Der runde Lesesaal mit seiner berühmten Kuppel, der 1857 mitten hineingesetzt wurde, und die Anbauten nahmen ihm jeden Charakter. Vor drei Jahren bezog die aus allen Nähten platzende Bibliothek ein neues Gebäude. Foster wurde beauftragt, den Hof für das Museum zurückzugewinnen. Von einem Abriss des Lesesaals konnte natürlich keine Rede sein. Auch er wurde restauriert, dient allerdings nur noch als Handbibliothek zu den Sammlungen des Hauses. Foster beseitigte die unattraktiven Anbauten, schmückte die eine Seite des Hofes mit einem klassizistischen Portikus, installierte auf der anderen Cafés und Läden und bedeckte das Ganze mit einer geschwungenen Glas-und-Stahl-Konstruktion. Herausgekommen ist der größte überdachte Platz Europas. Die Meinungen über das Resultat sind geteilt. Während die einen den "billigen französischen Stein" und das handwerkliche Niveau tadeln, begeistern sich die anderen für das neue "Wohnzimmer", das London nun besitzt, und begrüßen es als Vorgeschmack auf ein anderes Projekt, das dem fantasievollen Sir Norman am Herzen liegt - den Trafalgar Square ohne Autoverkehr.

Am Eingang zum Eremitage-Flügel im Somerset House sind die Benimmregeln aufgelistet, deren Beachtung die Kaiserin Katharina von ihren Gästen verlangte. Hüte und Degen mussten vor der Tür bleiben, die Lautstärke der Konversation durfte niemandem Kopf- oder Ohrenschmerzen bereiten, und trinken durfte der Besucher nur so viel, dass er "beim Hinausgehen seine Füße wieder findet". Streng verboten war es auch, "zu gähnen und andere zu langweilen". Zum Gähnen haben die Londoner Kunstfreunde derzeit keinen Anlass.

Jörg von Uthmann

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