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Kultur: Fragwürdiger Bericht über den Umgang der Amerikaner mit den Displaced Persons - Von Robert L. Hilliard

Mit der Übersetzung des amerikanischen Originals "Surviving the Americans" liegt nun einer der wenigen Augenzeugenberichte aus dem jüdischen Leben der unmittelbaren Nachkriegszeit in deutscher Sprache vor. Der Autor, Robert L.

Mit der Übersetzung des amerikanischen Originals "Surviving the Americans" liegt nun einer der wenigen Augenzeugenberichte aus dem jüdischen Leben der unmittelbaren Nachkriegszeit in deutscher Sprache vor. Der Autor, Robert L. Hilliard, Professor für Kommunikationswissenschaften in Boston, war als GI Zeuge der Befreiung und der rasch eingerichteten Lager für "Displaced Persons" (DP). Im Zentrum von Hilliards Bericht steht das DP-Lager St. Ottilien, in der Nähe von Landsberg/Lech, wo sich in einer Klosteranlage, die während des Krieges zum Lazarett umfunktioniert worden war, 500 Überlebende versammelt hatten, unter ihnen auch der ehemalige Kovnoer Getto-Arzt Dr. Zahlman Grinberg. Ihm gelang es binnen kürzester Zeit ein funktionierendes Krankenhaus für die Überlebenden aufzubauen. Hilliard und einige andere US-Soldaten unterstützten die Initiative.

Der Autor beschreibt eine auch in Deutschland bis heute nahezu unbekannte Phase jüdisches Lebens unmittelbar nach dem Holocaust. Zu Recht erinnert er an die Situation in den ersten Wochen nach Kriegsende, in denen die Überlebenden in den Lagern zusammen mit nichtjüdischen DPs untergebraucht waren, teilweise hinter Stacheldraht leben mussten und weder ausreichend Nahrung noch Kleidung und Medikamente zur Verfügung hatten.

Leider wurde die Chance, dem deutschen Leser diese zum Teil tragische, aber andererseits von Lebensmut geprägte Zeit näher zu bringen, vertan. Ein Zeitzeugenbericht kann nicht die Funktion einer historischen Darstellung übernehmen, aber er sollte doch grobe Fehler vermeiden und in seiner sprachlichen Diktion angemessen sein.

Bereits der amerikanische Originaltitel macht den merkwürdigen Sprachgebrauch des Autors deutlich. Da ist die Rede von den amerikanischen Truppen, die nach Kriegsende den Völkermord an den Juden noch monatelang fortgesetzt hätten - ein "Völkermord durch Vernachlässigung". Noch unerträglicher wird es, wenn Hilliard das Verhalten der Besatzungstruppen an anderer Stelle als "Genozid" an den Juden bezeichnet oder etwa von "St. Ottiliens Kristallnacht" spricht. Von den zahlreichen inhaltlichen Fehlern seien hier nur einige genannt. So gab es etwa in der sowjetischen Besatzungszone kein DP-Lager, die amerikanische Besatzungszone umfasste keineswegs nur Bayern und Teile Österreichs, nicht Feldafing (das im Übrigen am Starnberger See liegt), sondern Landsberg war damals das größte DP-Lager in Bayern.

Der Autor zeichnet ein Szenarium, das die amerikanische Armee und die Deutschen nahezu kollektiv zu Sündenböcken erklärt. Die Überlebenden hätten durch die amerikanischen Truppen nicht nur Hunger erleiden müssen, sie seien auch vergewaltigt und erschossen worden. Solche Zwischenfälle hat es vereinzelt gegeben, sie wurden aber von der Armeeführung hart bestraft.

Schier unerträglich ist Hilliards Selbstheroisierung. Würde man ihm Glauben schenken, so wären er und seine Freunde die Initiatoren der Inspektionsreise Harrisons durch die DP-Lager gewesen, die schließlich einen folgenreichen positiven Umdenkungs- und Handlungsprozess der amerikanischen Regierung und der Besatzungstruppen einleitete. Earl G. Harrison, der nach herber Kritik über die katastrophalen Zustände in den DP-Lagern von verschiedener Seite im Auftrag des amerikanischen Präsidenten Anfang Juli 1945 aufbrach, um die Situation vor Ort zu prüfen, gab tatsächlich ein vernichtendes Urteil ab.

Hilliards Pauschalisierungen betreffen nicht nur die amerikanische Armee, sondern auch die deutsche Bevölkerung. Man fragt sich allerdings, warum solche Urteile zielsicher vor allem die deutschen Frauen treffen müssen. Der Autor weist zutreffend daraufhin, dass amerikanische Armeeangehörige die sauber gekleideten jungen deutschen "Fräuleins" den Überlebenden vorzogen. Schuld daran waren nach Hilliards Ansicht die "sich anbiedernden" deutschen Frauen.

Man hätte sich gewünscht, der Verlag wäre mit mehr Sorgfalt bei der Auswahl vorgegangen, besser noch: er hätte sich für eines der anderen in englischer Sprache veröffentlichten Zeugnisse entschieden. Bei aller Subjektivität persönlicher Erlebnisberichte haben manche von ihnen eine andere Qualität als dieses Buch.Robert L. Hilliard: Von den Befreiern vergessen. Der Überlebenskampf jüdischer KZ-Häftlinge unter amerikanischer Besatzung. Campus, Frankfurt (Main) 2000. 240 S. 39,80 DM.

Juliane Wetzel

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