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Kultur: Frankensteins Sohn

Glenn Browns fantastische Bildwelten in der Galerie Hetzler

Das Bild ist abstoßend: die braun-gelben Zähne des Jünglings, seine grüne Haut und vor allem die rotunterlaufenen, toten Augen mit den hellblauen Augäpfeln. Gleichzeitig lassen die Gemälde von Glenn Brown den Betrachter nicht mehr los. Steht man vor einem der sechs neuen Arbeiten in der – ausverkauften – Ausstellung bei Max Hetzler, beginnen sie wie Wasseroberflächen zu wabern oder bedrohlich zu pulsieren, als würde in ihnen ein unruhiges, verräterisches Herz schlagen – wie in der Geschichte von Poe.

Der 1966 im englischen Northumberland geborene Brown scheint statt mit schwerer Ölfarbe mit farbigem Nebel und Licht zu malen. Seine Motive erwachsen langsam aus unzähligen feinem Pinselstrichen und -strudeln. Und doch täuscht der erste Eindruck des Pastosen. Die Oberflächen sind plan, fast wie bei einer Fotografie. Im Malprozess durchlaufen die Bilder Metamorphosen, die für den Betrachter erkennbar werden, sobald er seine Position ändert. Da tauchen Fratzen und Dämonen auf, manche Bilder lassen sich wie Vexierbilder hin und her kippen oder scheinen sich in Rauch aufzulösen.

Brown ist ein Transformator. Er sichtet unzählige Kunstkataloge auf der Suche nach immer neuen Motiven, plündert bei Frank Auerbach, bei Rembrandt, Fragonard, Max Ernst und Gerhard Richter ebenso selbstverständlich wie in der Science-Fiction-Literatur. Im Jahr 2000, gerade für den Turner-Preis nominiert, brachte ihm dieses Vorgehen den Vorwurf des Plagiates ein. Ein Missverständnis. Denn Brown nutzt selten nur eine einzige Vorlage, sondern isoliert und mischt Motive neu und entwickelt mit Verzerrungen und ungeheuerlichen Farbverschiebungen Arbeiten, von denen der Betrachter nur glaubt, die ursprünglichen Motive zu erkennen. Und doch tappt man immer wieder in diese Falle, sieht in dem grüngesichtigen Jüngling zunächst ein Bild von Murillo, der zwischen 1655 und 1660 einen fröhlich lachenden Jungen mit erstem Bartflaum malte, oder in dem Porträt eines alten Mannes mit Rauschebart und leeren Augenhöhlen die Vorlage von Pissarro. Brown selbst vergleicht seine Arbeitsweise mit der Doktor Frankensteins: „Ich baue meine Bilder mit Überresten oder toten Bestandteilen von Arbeiten anderer Künstler.“

Manchmal entdeckt der Londoner Künstler dabei ganz neue Planeten. In dem Gemälde „The Hinterland“ scheint der Mensch selbst sich verflüssigt zu haben und zum unförmigen Organ oder Himmelskörper mutiert zu sein, aus dem Arme und Hände herausgreifen. Ein Auge blitzt aus den Farbstrudeln hervor, und aus einer fleischlich-roten Öffnung sprießen zarte Blumen. Ähnlich überbordend wirkt „Asylums of Mars“, das sich – wie bei einem erotisch träumenden Arcimboldo – aus Körpern zusammensetzt. Die obere Ecke ist grün gemalt. Ohne Frage: Hier waren höhere Wesen am Werk.

Galerie Max Hetzler, Zimmerstraße 90/91, bis 11. März; Dienstag bis Sonnabend 11–18 Uhr.

Katrin Wittneven

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