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Frankfurt: Erste Poetik-Vorlesung von Wilhelm Genazino

Der Schriftsteller Wilhelm Genazino ist als Gastdozent an seine Alma Mater zurückgekehrt. Der 2004 mit dem Büchner-Preis ausgezeichnete Autor hielt am Dienstagabend an der Goethe-Universität in Frankfurt seine erste Poetik- Vorlesung.

Frankfurt/Main - Als ironischer Chronist und präziser Beobachter des bundesdeutschen Alltags wird Wilhelm Genazino gerühmt. Dies hat der Schriftsteller («Liebesblödigkeit») bei seiner ersten Poetik-Vorlesung am Dienstagabend an der Frankfurter Goethe- Universität unter Beweis gestellt. Unter dem Titel «Die Belebung der toten Winkel» demonstrierte der unter anderem mit dem Georg-Büchner- Preis ausgezeichnete Autor, dass er auch leblosen Dingen wie einem Geldbeutel noch Poesie entlocken kann.

Vor rund 800 Zuhörern im völlig überfüllten Hörsaal war Genazinos Premiere als Gastdozent eine Heimkehr an seine Alma Mater: Der 62 Jahre alte Schriftsteller hatte in Frankfurt von 1982 an Germanistik studiert, nachdem der ausgebildete Kaufmann und Redakteur zuvor das Abitur nachgeholt hatte. Genazino, in Mannheim geboren, lebt nach einem Abstecher nach Heidelberg seit 2004 wieder in Frankfurt - unweit des alten Universitäts-Campus'.

Magie können für Genazino ganz alltägliche Gegenstände haben - vom Koffer bis zu dem Geldbeutel, den der flanierende Autor bei einem Spaziergang vergraben unter Blättern fand. In der Geldbörse entdeckt er das Bild einer alternden Frau, das ihn zunächst nicht näher berührt. Erst Wochen später, als er in einem Automaten Passfotos machen lässt und bei sich die unbarmherzigen Spuren des einsetzenden Alters erkennt, erinnert er sich an den Geldbeutel.

Auf seiner Reise zur Entdeckung der Alltags-Poesie bedient sich Genazino der Maxime Sigmund Freuds für die Psychoanalyse: «Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten». Das Philosophieren über unscheinbare Begebenheiten oder tote Gegenstände kann damit zur Leidenschaft werden. «In allen Gegenständen staut sich die Zeit», doziert Genazino. Der frühere Redakteur der Frankfurter Satirezeitschrift «Pardon» möchte den «Bruchbudencharakter der Moderne» zeigen. Nicht umsonst tragen seine Bücher Titel wie «Der Fleck, die Jacke, die Zimmer, der Schmerz» oder «Das Licht brennt ein Loch in den Tag».

Genazinos insgesamt fünf Frankfurter Vorlesungen, die er in den kommenden Wochen hält, werden im Münchner Hanser Verlag im Februar als Buch veröffentlicht. Die Frankfurter Gastdozentur für Poetik hat eine lange Tradition. Erste Dozentin war 1959 Ingeborg Bachmann. Seit 1963 wird die Dozentur vom Suhrkamp Verlag und dem Förderverein der Frankfurter Universität finanziert. (Von Thomas Maier, dpa)

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