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Kultur: Französisch an der Oberfläche

KLASSIK

Das Schönste an Daniel Barenboims Beethoven-Spiel sind die romantischen Fiorituren, wie er sie in ausdrucksvollem Pianissimo zelebriert: Zu erleben im Adagio des fünften Klavierkonzerts. Mit der Aufführung begibt sich die Staatskapelle Berlin in den herbstlichen Saisonauftrieb der Stadt. Ihr erstes Sinfoniekonzert leitet Michael Gielen in der Philharmonie , während Barenboim, den das Orchester wagemutig zum Chefdirigenten auf Lebenszeit gewählt hat, seine Autorität dem Solopart zuwendet. Die Interpretation setzt auf den Titel „Grand Concerto Pour le Pianoforte“, und Barenboim kann nicht gänzlich darüber hinwegtäuschen, dass der technische Anspruch hoch ist. Aber „Grand Concerto“ gilt ihm vor allem als Ausdrucksqualität, die sich in den Oktavpassagen steigert. Und wenn der Pianist Klarinettenlinien in feinen Figurationen umspielt oder sonst romantische Quellen und eine Vorahnung von Chopin spüren lässt, sollten wir nicht puristisch sein. Barenboims Klassik kommt aus dem Augenblick und scheint nicht sehr fern von dem, was Czerny über den Adagio-Vortrag Beethovens berichtet, nämlich dass er „auf jeden Zuhörer einen beynahe zauberhaften Eindruck“ ausübte.

Es fällt schwer, in dem Programm den roten Faden zu entdecken, obwohl die beiden aufgeführten Franzosen Instrumentationskünstler sind. Von Berlioz, dem Beethovenverehrer (!), fesselt in der Ouvertüre „Roi Lear“ die Tragödie zwischen dem verblendeten König (tiefe Streicher) und der zarten Cordelia (Oboe), bevor der Sturm gewaltig über die Heide fegt. Dutilleux’ zweite Sinfonie, die Gielen mit sachlichem Gestus dirigiert, vertritt eher die sehr französische Spezies einer farbigen Oberfläche.

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