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Das Ensemble Musikfabrik spielt eine Komposition des Neutöners Harry Partch.

© Klaus Rudolph

Freemusic Festival in Berlin: Ornament und Versprechen

Instrumente, in denen man wohnen kann: das Freemusic-Festival im Berliner Haus der Kulturen der Welt.

Plötzlich traute man seinen Ohren nicht mehr: war das wirklich „Happy Birthday“? Gespielt von den Musikerinnen und Musikern des Ensembles Musikfabrik auf Instrumenten, die „Chromelodeon“ heißen, oder „Kithara“ und irgendwie archaisch aussahen. Die mannshohe Bassmarimba etwa, mit ihren holzbohlenstarken Klangstäben. Oder die Kithara, die auch ein Wohnzimmerschrank hätte sein können, wenn nicht diese vielen Saiten darin kreuz und quer gespannt wären. Erfunden hat die Instrumente der Musiktheoretiker Harry Partch, um seine Musik überhaupt spielen zu können. Denn er komponierte mit Tonleitern, die 43 Stufen kennen, anstatt der sonst üblichen 12 Halbtöne. Und in diesem außergewöhnlichen Klanguniversum tönte unüberhörbar das billigste aller Geburtstagsständchen?

Ein Blick ins Programm bestätigte: Ja, das hat Partch so geschrieben, als „afro-chinesisches Menuett“ und dritte Szene seiner „Dance Music for an absent Drama“. So klingt die bekannte Melodie auch, als sei sie etwas verstimmt: mikrotonal eben. Doch die Instrumente waren frisch intoniert, es lag wohl eher an den Ohren, die sich nicht an die ungewohnte Vielfalt der Töne gewöhnen wollten. Aber die gibt es wirklich selten zu hören. Das Ensemble Musikfabrik gastiert überhaupt zum ersten Mal mit der Musik und Nachbauten der originalen Partch-Instrumente in Berlin.

Harry Partch entwickelte schon ab 1923 sein ganz eigenes Tonsystem

Damit demonstrierten sie am Donnerstagabend gleich zur Eröffnung des Festivals „Free Music“ ganz praktisch, wie sich Harry Partch einst die Befreiung der Musik vorgestellt hatte. Warum sich einengen lassen von einer wohltemperierten Stimmung? Schon ab 1923 begann er sein eigenes Tonsystem zu entwickeln. Zur gleichen Zeit arbeitete Arnold Schönberg in Wien an seiner Zwölftonmusik, die später als Inbegriff einer strengen Avantgarde gesehen wurde. Dabei war die Moderne vor rund hundert Jahren doch mit dem Versprechen der Befreiung angetreten. Möglicherweise sei dabei aber etwas schiefgelaufen, behauptet der Komponist, Philosoph und Hörspielmacher Patrick Frank in seiner „Theorieoper Freiheit – Die eutopische Gesellschaft, Version IV“.

Alle reden von Freiheit, nicht leicht, da tatsächlich frei zu spielen

Schließlich reden inzwischen alle von der Freiheit, am lautesten die, die Befreiung verhindern wollen. Eine Ausstellung im Foyer zeigt Wahlplakate von Adenauer bis zur DKP und Werbeposter für Zigaretten, Banken, Autos und Limonade, die Botschaft ist immer gleich: „Freiheit“. Seine Performance, die 2015 bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt wurde, hatte Frank auf 90 Minuten für drei Sprecher und das Kammerensemble KNM reduziert, zitierte aber dennoch von Jesus bis Slavoj Žižek, von Richard Strauss’ „Also sprach Zarathustra“ bis John Cage den Diskurs in seiner ganzen Breite.

Einer der Musiker beim Freemusic-Festival ist Baloji, ein Alchimist der Klänge aus der Republik Kongo.
Einer der Musiker beim Freemusic-Festival ist Baloji, ein Alchimist der Klänge aus der Republik Kongo.

© Promo/Haus der Kulturen der Welt

„Der Freiheitsimpuls tritt automatisch in Kraft, wenn man musiziert“ stellt dagegen Ronald Lippok von der Band Ornament & Verbrechen das Festivalmotto „Free Music“ im Interview wieder auf die Füße. Wer Musik machen wolle, müsse sich ja zunächst ganz persönlich befreien, „zum Beispiel von deinem Interesse fürs Publikum, von deinen eigenen Erwartungen und so“. Gemeinsam mit seinem Bruder Robert hatte Lippok 1983 in Ost-Berlin eine Band gegründet und auf Privatpartys sowie in Free-Jazz-Kellern mit Elektro, Noise und New Wave experimentiert. Nach dem Mauerfall waren sie dann mit Bands wie Tarwater und To Rococo Rot bekannt geworden. „Aber das Grundproblem bleibt das gleiche“, sagt Lippok. Hier in Berlin sei man in einer privilegierten Situation, während in Weißrussland Bands nicht spielen dürften, Clubs aus politischen Gründen geschlossen würden. „Da ist die Frage akut, welche Rolle dabei die Musik spielt.“

Die ägyptischen Musikerinnen sprengen die Grenzen ihrer Musiktradition

Wie zum Beispiel im Konzert an diesem Samstag, wenn die Laptop-Improvisatorinnen der Egyptian Female Experimental Music Session ihr hypnotisches Elektro-Ambiente entfalten werden. Diese Frauen ergriffen im Arabischen Frühling die Chance, die Grenzen des traditionellen Musikverstehens zu sprengen. Einen anderen Weg gehen Lautari aus Polen, die auch am Samstag auftreten. Sie umarmen die Traditionen ihrer Heimat ausdrücklich und befreien so Fiedel und Akkordeon zu einer neuen Folklore, die mit Jazz und Avantgarde zu tanzen beginnt.

Der Südafrikaner Moholo importierte den Free Jazz in seine Musik

Am Sonntag wird dann der Südafrikaner Louis Moholo den Tanz-Impuls aufnehmen und mit seinen britischen 4 Blokes eine Stufe weiter drehen. Er kennt die Bedeutung von Freiheit in der Musik. In den sechziger Jahren importierte er die Ideen des Free Jazz in sein eigenes Spiel und musste schließlich vor dem Apartheid-Regime fliehen. Im Exil wurde er erst richtig bekannt.

Die treibende Kraft des Jazz war schon am ersten Abend der „Free Music“ zu hören: als Spurenelement sogar in der von Konventionen befreiten Musik, die Harry Partch gleichzeitig mit der Blütezeit von Swing und Bebop schuf, aber auch in der Liebe zur Improvisation, die Ornament & Verbrechen zeigten. Als schließlich Robert Lippok ein „I walk the line“-Solo durch den Bühnennebel lispelte, dann wohl, weil er im Programmheft gelesen hatte, dass am Samstag „Johnny Cash at Folsom Prison“ gezeigt wird, der Film von Bestor Cram. Lachen befreit.

Das Festival läuft bis zum Sonntag, den 9. April. Infos unter hkw.de/freemusic

Tobias Richtsteig

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