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Kultur: Freier Fall Tschechische Fotoklassiker bei Kicken Berlin

Es ist schon eine kleine Sensation, wenn eine Fotogalerie kurz nach der Eröffnung einer Ausstellung fast alle Exponate verkauft hat. Besonders in Berlin, wo die Sammler nur zögernd zugreifen.

Es ist schon eine kleine Sensation, wenn eine Fotogalerie kurz nach der Eröffnung einer Ausstellung fast alle Exponate verkauft hat. Besonders in Berlin, wo die Sammler nur zögernd zugreifen. Doch der tschechischen Fotoavantgarde geht ein derartiger Ruf voraus, dass die wenigen Stücke von Jaroslav Rössler, František Drtikol, Josef Sudek oder Jaromir Funke (um nur die bekanntesten Namen zu nennen), wenn sie dann überhaupt auf den Markt gelangen, trotz stolzer Preise (10 000–80 000 Euro) sofort den Besitzer wechseln.

Die tschechische Avantgarde-Fotografie war Teil der Prager surrealistischen Bewegung, die in den zwanziger Jahren begann, in den fünfziger Jahren weiterlebte und im Grunde nie ganz erloschen ist. Noch in der kommunistischen Zeit wagte Sudek eine geheimnisvolle Verklärung der Karlsbrücke: Über ihrer realen Gestalt schwebt ein zweites, dunstiges Abbild hoch in den Wolken. Berühmt sind auch seine spielerischen Kompositionen mit Wasserglas und Ei, die an Bauhausfotografie erinnern und doch eher von poetischem Reiz sind.

Die Anregungen der Avantgarde in Deutschland, Frankreich und der Sowjetunion fielen in der jungen Tschechoslowakei mit ihrem freien Kunstbetrieb auf fruchtbaren Boden, wurden aber sofort in den Dienst der romantischen Tradition gestellt. Man erkennt dies an der dunklen Stimmung der meisten SchwarzWeiß-Bilder und an der Innerlichkeit des Ausdrucks. Die schräge Perspektive, etwa in einem Männergesicht von Jaromir Funke, mag an Rodtschenko erinnern, richtet sich hier aber immer auf etwas Privates und Kleines. Funke und Sudek kultivieren das Stillleben, andere erproben Fotogramme, zerschneiden Gesichter, und wenn einmal die Außenwelt ins Blickfeld gerät, so ist es ein Kirchengewölbe oder eben die verfremdete Karlsbrücke. Auch Sudeks Wassergläser sind mehr vages Symbol des Transzendenten als Gebrauchsgegenstände, wie sie Renger-Patsch studierte.

Die exklusive Ausstellung „Czech Vision“, die Rudolf Kicken pünktlich zu seinem 60. Geburtstag am heutigen Sonnabend versammelt hat, zeigt Arbeiten von zehn Fotografen. Neben bekannten Namen stehen vergessene, zum Beispiel der früh verstorbenen Jaroslav Fabinger, dessen Kopfstudie aus dem Jahr 1930 zu den eindrucksvollsten der knapp 30 Originalabzüge zählt: die Gesichtshälfte einer jungen Frau, deren wunderbar offenes Auge erwartungsvoll auf den Betrachter gerichtet ist. Von Jaroslav Drtikol, dem unübertroffenen Meister der Aktfotografie, entzückt eine zwischen schwarzen Linien hingestreckte weibliche Figur. Dagegen offenbart eine 1930 in Paris entstandene Komposition Jaroslav Rösslers, der einen dünnen Schal über das Zifferblatt einer Uhr schweben lässt, einmal mehr die Vergänglichkeit aller avantgardistischen Spiele. Ein solches Foto-Kunststück vermag den Sammler zu entzücken. Hans-Jörg Rother

Kicken Berlin, Linienstr. 155, bis 28. Juli, Dienstag bis Sonnabend 14–18 Uhr.

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