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Klage und Ekstase. Multiperspektivische Szene aus „Yuropa“.

© Sophiensäle

„Yuropa“ in den Sophiensälen: Fremde werden Freunde

Kontinentaltanz in den Sophiensälen: Das Tandemprojekt „Yuropa“ von Sebastian Matthias aus Berlin und Qudus Onikeku aus Lagos dreht sich um Verschmelzung.

Von Sandra Luzina

Austauschprogramme sind manchmal Erfolgsmodelle. Die Kulturstiftung des Bundes hat 2012 den Fonds TURN ins Leben gerufen, um die Kooperation mit afrikanischen Ländern zu stärken. Bei dem Projekt „The Choreonauts“, das von der Bremer Tanzcompagnie „steptext dance project“ initiiert wurde, treffen drei Choreografen aus Nigeria, Südafrika und der Elfenbeinküste auf einen deutschen Tanzschaffenden. Eins dieser Tandems bilden Sebastian Matthias aus Berlin und Qudus Onikeku aus Lagos. Mit drei Tänzern vom QDanceCenter Lagos haben sie die Tanzproduktion „Yuropa“ erarbeitet, die nun an zwei Abenden in den Sophiensälen zu sehen war. Das Kunstwort „Yuropa“ ist zusammengefügt aus Yoruba und Europa. Es signalisiert, dass es um Verschmelzung geht, um transkulturelle Verflechtung.

Matthias experimentiert mit einem offenen Bühnenformat. Im Hochzeitssaal umringen die drei Tänzer den Gitarristen Olatunde Obajeun und nehmen die Zuschauer in den Blick, die verteilt im Raum stehen. Deborah Aiyegbeni, Chibueze Hermes Iyele und Busayo Olowu gehen auf Zuschauer zu, reichen ihnen die Hand, schenken ihnen ein Lächeln. Nette Idee: Die Performer nehmen mal kurz Kontakt auf, bevor sie loslegen. Doch es ist natürlich eine künstliche Situation, die hier geschaffen wird. Soziale und kulturelle Distanzen sollen einfach übersprungen, Berührungsängste im Nu abgebaut werden.

Immer wieder geht das Licht aus, bei dieser Kennenlernparty, im Dunklen geben die Tänzer Antwort auf Fragen wie: „Was bedeutet Heimat für dich?“ Das wird schnell peinlich. Später pflügen die Tänzer sich durch die Menge, pirschen sich ran, rücken den Zuschauern auf den Leib, um sie in ein Tänzchen zu verwickeln oder durch den Raum zu schieben. Nach dem Kontakt dann die Konfrontation: Die Performer schütteln sich zu afrikanischen Rhythmen und fragen immer wieder: „Do you like it?“ Zum Schluss summen alle zusammen ein Lied. Das Ganze mutet eher sozialtherapeutisch an. Es stellt sich die Frage, inwieweit Matthias in dieser Versuchsanordnung seine ästhetischen Praktiken mit den Tänzern aus Lagos geteilt hat.

Zwischen Klage und Amklage

Im zweiten Teil geht es ans Eingemachte. Der Choreograf Qudus Onikeku nimmt einen Blickwechsel vor: Er thematisiert die Flüchtlingskrise aus afrikanischer Sicht, und für die Zuschauer sind die Tänzer auf einmal wieder: die Anderen, die Fremden. Die Tänzer lesen die Namen von Flüchtlingen vor, die ertrunken, verhungert oder auf andere Weise ums Leben gekommen sind. Zwischen Klage und Anklage bewegt sich das Stück. Mit einem Rucksack brechen sie auf zu einer gefährlichen Reise. Die Männer sinken zu Boden, ducken sich weg, schnellen wieder hoch. Deborah Aiyegbeni zuckt zusammen und versteift ihren Körper wieder, sie wird mitgeschleift und aufgefangen. Verzweiflung, Erschöpfung, Schutzlosigkeit – davon erzählt das aufwühlende Stück.

Zum Schluss werfen die Performer ihre leeren Wasserflaschen weg und holen die letzten Münzen aus den Hosentaschen. Mit einem Plastikumhang steht das Trio da, den Blick ins Ungewisse gerichtet. Zuerst der Wunsch nach Annäherung, dann die unüberwindlich scheinende Distanz: Der Abend zeigt, dass Austauschprojekte an ihre Grenzen stoßen können. Doch Qudus Onikeku und seine Tänzer haben einen starken Eindruck hinterlassen.

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