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Kultur: Fünf junge Regisseure aus Osteuropa sprechen über Kunst und Politik in ihren Ländern

Berlin als Brücke nach Osteuropa - ein Klischee. Manchmal nicht mehr als eine Phrase auch.

Berlin als Brücke nach Osteuropa - ein Klischee. Manchmal nicht mehr als eine Phrase auch. Tatsächlich kommt es nur sporadisch zu dem, was man Kulturaustausch nennt und oft im Veranstaltungsbetrieb untergeht. Die Festwochen setzen gegen Ignoranz und Routine in diesem Monat die Reihe "Junges Theater aus Osteuropa". Wer sind diese Theaterleute einer neuen Generation?

Galin Stoev kommt aus Mazedonien, vom Nationaltheater Skopje. Seine "Antigone in Technoland" beschäftigt sich mit dem Kult in der Antike und heute. Der Ungar Laszlo Hudi gründete 1995 in Budapest die Movin House Company. Ihr Stück ist ein Klassiker des 19. Jahrhunderts: der ungarische Faust von Imre Madach "Die Tragödie des Menschen". Eine Version des Thomas-Mann-Romans zeigt das Teatr Polski Wroclaw mit "Doktor Faustus". Regisseur Grzegorsz Jarzyna gehört zu den erfolgreichen jungen Regisseuren seines Landes und hat einen besonderen Tick: Er gibt sich bei jeder Inszenierung einen anderen Namen. Hier nennt er sich "Das Gemüse". Aus Litauen stammt Oskaras Korsunovas. Die Gruppe, die seinen Namen trägt, bringt ein Stück über biblische Motive und den jungen Nationalstaat: "P.S. Akte OK". Roman Sikora aus Tschechien tritt beim "Stückemarkt Europa Ost" an der Volksbühne auf mit "Antigone weggefegt - Versuch einer Tragödie". Allen jungen Regisseuren stellt sich brennend die Frage nach dem Nationalgefühl und Nationalismus und der Identität der Ost- und Mitteleuropäer.

Galin Stoev: Das Gefühl nationaler Identität ist wahrscheinlich ein Aspekt einer persönlichen Identitätsüberfülle. Wenn man heute durch Europa reist, bekommt man auf diesem relativ kleinen Territorium alle möglichen gegensätzlichen Extreme mit. Es ist nicht so einfach zu entscheiden, wo man hingehört, besonders dann, wenn die Umgebung Entscheidungen von einem verlangt.

Nationalismus ist eine Verteidigungshaltung, ein Hilfsmittel, um mit dem eigenen geringen Selbstvertrauen klar zu kommen. Kreativität hilft hier. In der Post-Informationsgesellschaft wird Phantasie zum wertvollsten Kapital werden. Ich bin eher für extreme individuelle Freiheit, als für irgendwelche billigen Ausreden für Intoleranz.

Laszlo Hudi: Ich wurde in den Sechzigern geboren, zu spät also. Zu spät, um an irgend etwas glauben zu können. Ich denke, wir müssen an das System glauben, das wir das "Sein" nennen. Ich komme aus einem kulturellen Umfeld, das das nicht erlaubte. Das wesentliche Merkmal dieses Milieus war die Lüge. Daher liegen meine Wurzeln in der Lüge.

Ich habe Ungarn viele Male endgültig verlassen, bin aber immer wieder zurückgekehrt. Diese Ambivalenz bestimmt mein Nationalgefühl. Die Menschen in Mitteleuropa hatten in der bisherigen Geschichte nie die Chance, ihre Identität zu definieren, die Grenzen ihrer nationalen Identität ausfindig zu machen. Andere und größere Nationen haben das in einer Reihe von Auseinandersetzungen und Kriegen getan, aber hier bedeutete das Gleiche von Anbeginn Ungleichheit. Diese Situation mag das Ergebnis der offensichtlichen Unterdrückung sein, die ihrerseits zu aggressiver Kompensation führt.

Nach diesen grundsätzlichen Überlegungen wird es kein allzu großes Erstaunen hervorrufen, wenn ich im Zusammenhang mit nationaler Identität von "Krankheit" spreche. Wir sind wahrscheinlich in einem so hohen Maße zusammengemischt worden, dass es jetzt ganz vergeblich ist, herauszufinden, wer ich bin. Ein kranker Ungar? Ein kranker Zigeuner? Ein kranker Jude? Ein kranker Rumäne? Ein kranker Serbe?

Ich kannte einen ungarischen Emigranten, der, nachdem er sein Heimatland verlassen hatte, anfing, Dialekt zu sprechen, was er vorher nie getan hatte.

Grzegorz Jarzyna : Natürlich empfinde ich Achtung vor der Vergangenheit und vor der Kultur meines Landes. Aber ich glaube nicht, dass sie mein bewusster künstlerischer Antrieb ist.

Interessant sind für mich die Anfänge, das griechische Theater und die Theatertradition Asiens. Meiner Ansicht nach befindet sich das Theater in Europa seit Sophokles in einer Krise. Diese drückt sich in einem Übermaß an Psychologisierungen und dem Betonen sozialer Aspekte aus.

Oskaras Korsunovas : Ich repräsentiere eine Generation, die das Erbe des sowjetischen Systems voll und ganz aufgesogen hat, wie ein Schwamm das Wasser. Wir waren die braven Kinder von Eltern, die herausgefunden hatten, wie man in diesem System leben kann - in diesem Sinne also sehr nasse Kinder von sehr nassen Eltern.

Ich habe keinerlei nationale Identität. Meine Familie ist gemischt, ich wuchs mit beiden Sprachen auf. Ich respektiere die Empfindungen von Nationalstolz, aber ich selbst kenne dieses Gefühl nicht. Das heisst aber nicht, dass ich nicht von meiner Umgebung beeinflusst wäre. Litauen ist ein katholisches Land, und ich spüre, wie sich die katholische Mystik auf mein Bewusstsein und meine Theaterarbeit auswirkt.

Ich bin in einem besetzten Land geboren und aufgewachsen, in dem das Problem der Nationalität besonders ausgeprägt ist. Deswegen habe ich Angst vor jeder Eskalation von Nationalismus genauso wie von Kosmopolitismus, beziehungsweise vor jeder Politik, die die Probleme der Identität der Menschen verfälscht und mit ihr spielt.

Roman Sikora : Das Gefühl nationaler Identität spielt in meinem Werk sicher eine gewisse Rolle. Ich wehre mich dadurch gegen die verlogenen Bemühungen der Elite, diese Identität auf völlig abwegigen Prinzipien aufzubauen. Die Kleinlichkeit unseres Staates prägt in gewisser Weise unser ganzes Bewusstsein und Denken. Ein kleiner Horizont, kleine Ambitionen, kleine Lügen, kleine Wahrheiten, aber große Komplexe und ein großes Unrechtsempfinden.

Solange wir zu fressen haben, werden wir zufrieden sein. Bei uns ist eher das Problem des Rassismus und Antisemitismus aktuell, was schließlich auch eine Variante von Nationalismus ist. Ich würde mich nicht wundern, wenn so etwas deshalb hingenommen wird, weil es für die tschechische Elite von Vorteil ist. So sind die Leute wenigstens eine Zeit lang mit anderen Problemen beschäftigt als mit der Arroganz der Regierung.

Ich bin wohl ein Produkt des Eisernen Vorhangs, verbunden mit den neuen Erkenntnismöglichkeiten in allen Richtungen."Antigone in Technoland", Renaissance-Theater, 8. - 10. 9.; "Die Tragödie des Menschen", Sophiensäle, 9. - 12. 9.; "Doktor Faustus", Hebbel-Theater, 24. - 26. 9.; "P.S. Akte OK", Volksbühne, 25. - 26. 9.. Stückemarkt Europa Ost, 25. und 26. 9.

Rüdiger Schaper

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