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Kultur: Füße dürfen nicht dauerhaft unter Druck gesetzt werden

Leidet der gesunde Auftritt unter zu engen und zu spitzen Schuhen, kann es zum schmerzhaften „Hallux valgus“ kommen – oft muss dann operiert werden

„Ein schöner Fuß ist eine große Gabe der Natur“, bemerkte kein Geringerer als Goethe in den „Wahlverwandtschaften". Doch wenn der Dichter anschließend behauptete, „diese Anmut ist unverwüstlich“, dann würden ihm Orthopäden und Fußchirurgen aus ihrer fachlichen Sicht wohl doch widersprechen.

Als komplexe Struktur, die im Verlauf eines langen Lebens einige Belastungen aushalten muss, ist der Fuß nämlich leider ein ausgesprochen „verwüstlicher“ Körperteil. 26 Knochen sind hier über 33 Gelenke miteinander verbunden, Hunderte von Bändern halten sie zusammen, zwanzig Muskeln und ihre starken Sehnen sorgen für Beweglichkeit und festen Stand, mit einer Vielzahl von Nerven ausgestattet, ist der Fuß zudem ein ausgesprochen sensibles Organ.

Vor allem viele Frauen kennen die Plage des schmerzenden Großzehballens. Er kann sich im Lauf des Lebens sehr stark verändern. Der schmerzhafte Ballen, von Medizinern „Hallux valgus“ genannt, geht mit einer charakteristischen Verformung des großen Zehs einher. Zunächst verdickt sich der Knochen an der Innenseite des Mittelfußköpfchens, dann wird die Kapsel des Gelenks überdehnt, die Zehe wird dadurch nach außen gedrückt und zeigt mit der Spitze immer mehr in Richtung der kleineren Zehen, die Sehnen ziehen die Zehe immer weiter in Schiefstellung. Ein Teufelskreis: Schließlich scheuert der Ballen des großen Zehs am Schuh, rötet und entzündet sich.

Sicher ist, dass das leichter geschieht, wenn der Mensch eine Veranlagung zu dieser Verformung mit sich trägt. „Dass ein Fuß im Lauf des Lebens Probleme macht, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ererbt“, sagt Alexander Sikorski vom Zentrum für Fußchirurgie am Aachener Marienhospital. Warum drei Viertel aller Betroffenen Frauen sind, ist wissenschaftlich noch nicht restlos aufgeklärt. Ausschlaggebend ist möglicherweise aber auch die Form der Schuhe – zumindest bei entsprechender Veranlagung. Spitz geschnittene Schuhe mit hohen Absätzen, die man nicht tragen kann, ohne das Körpergewicht auf den Vorderfuß zu verlagern, sperren die Zehen schließlich oft stundenlang in ein enges Korsett.

Orthopäden und Physiotherapeuten raten deshalb, verschieden geformte Schuhe im Wechsel zu tragen. „Man sollte das Tragen spitzer Schuhe auf ein Minimum beschränken“, sagt der Düsseldorfer Orthopäde Thomas Pauly vom Vorstand des Deutschen Orthopäden-Verbandes. Außerdem sei es hilfreich, die Muskulatur der Füße regelmäßig zu kräftigen. Zum Beispiel, indem man immer wieder einmal bewusst auf den Hacken geht. Oder indem man mit gekrümmten Zehen ein Handtuch vom Boden aufhebt. Möglichst viel barfuß zu laufen, ist überhaupt empfehlenswert. Andererseits finden sich die charakteristischen Deformitäten auch bei Menschen, die aufgrund kultureller und traditioneller Prägungen viel barfuß laufen.

Wenn die Beschwerden anders nicht zu beheben sind, muss der Großzeh operiert werden. Dafür stehen heute verschiedene Methoden zur Verfügung. Welche von ihnen zur Anwendung kommen sollte, ist abhängig vom Schweregrad und der Art der Fehlstellung. Im frühen Stadium muss vielleicht nur das Köpfchen des ersten Mittelfußknochens verschoben werden, später der Schaft, oder es ist eine Versteifung am Übergang zwischen Mittelfußknochen und Fußwurzel nötig. „Grundsätzlich arbeiten wir dabei heute gelenkerhaltend“, erklärt der Fußchirurg Stephan von Rüdiger, der zusammen mit zwei Partnern seine rein fußchirurgische Praxis in Berlin-Mitte hat und in verschiedenen Krankenhäusern operiert. Inzwischen werden auch Implantate und stabilisierende Materialien eingesetzt, die teilweise einige Zeit nach dem Eingriff wieder herausgenommen werden. So arbeitet Masyar Rahmanzadeh im Gelenkzentrum Berlin an der Schlossparkklinik mit einer speziellen Platte, die eine frühe Belastung des Fußes erlaubt – ein großer Wunsch vor allem sportlich aktiver Patienten, die nicht wochenlang warten wollen, bis sie wieder ohne Hilfsmittel laufen dürfen. Langzeitergebnisse der seit 2002 schon an über 2000 Füßen praktizierten Methode fehlen allerdings noch. „Auch mit den meisten der von der Gesellschaft für Fußchirurgie empfohlenen Methoden kann man den Fuß heute sofort wieder belasten“, versichert von Rüdiger.

Er warnt außerdem davor, beide Füße gleichzeitig zu operieren. Der gesunde Fuß werde gebraucht, um den operierten zu entlasten und damit eine schnellere Heilung zu garantieren. „Patientenkomfort ist ein wichtiger Gesichtspunkt. Wichtiger ist jedoch, dass der Erfolg von Dauer ist, denn Korrekturoperationen sind schwieriger und bringen oft nicht den gewünschten Erfolg", sagt Sikorski, der wie von Rüdiger in der Gesellschaft für Fußchirurgie aktiv ist.

Aber wann muss überhaupt operiert werden? „Wenn eine Fehlstellung nicht wehtut, würden wir nicht operieren, wir machen keine kosmetische Chirurgie“, sagt Sikorski. Und er verweist auf 80-Jährige mit ausgeprägten Zehenfehlstellungen, die ohne Schmerzen laufen können. Wenn aber Druckbeschwerden das Tragen jedes Schuhs zur Qual machen, wenn Entzündungen und Schmerzen beim Abrollen auftreten und eine Arthrose droht, dann ist es Zeit für einen Eingriff.

Entscheidend ist, wie man heute weiß, dass beim Gehen und Stehen der große Zeh und der dazugehörige erste Mittelfußknochen die Hauptlast tragen. Sikorski mahnt, den Fuß als eine Einheit zu betrachten. Ein guter Arzt oder Therapeut werde ihn immer zuerst sorgfältig untersuchen. „Zum Beispiel lassen die Schwielen an den Fußsohlen Rückschlüsse auf die Belastung zu.“ Spezielle Fußdruckmessungen geben weiteren Aufschluss. Die Erkenntnisse zur Biomechanik sollten auch bei den Einlagen zum Tragen kommen. Sie werden vom Arzt verordnet. „Sonst landen sie schnell im Schrank statt im Schuh“, weiß Sikorski.

Weitere Informationen unter:

www.gesellschaft-fuer-

fusschirurgie.de

Adelheid Müller-Lissner

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