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Was machen wir heute?: Fünfblättrigen Klee finden

Dass Lucky Luke eine Tochter hatte, darüber ist nichts bekannt. Kann man sich auch kaum vorstellen: Der ins Badewasser getunkte Ellenbogen, zur Prüfung, damit sich das Kind nicht verbrüht, gehört nicht ins Verhaltensrepertoire eines lonesome cowboy.

Dass Lucky Luke eine Tochter hatte, darüber ist nichts bekannt. Kann man sich auch kaum vorstellen: Der ins Badewasser getunkte Ellenbogen, zur Prüfung, damit sich das Kind nicht verbrüht, gehört nicht ins Verhaltensrepertoire eines lonesome cowboy. Ebenso wenig passt es, dass Westberlin vor dreißig Jahren Kinder gebar. Gerade lese ich „The Politics of Memory“, darin beschreibt „New Yorker“- Korrespondentin Jane Kramer, wie Autonome das Kreuzberger Restaurant „Maxwell“ zerlegten – schon gutes Essen war Feindeswerk. Westberlin sei, schreibt Kramer, für Bewohner Probebühne, für Westdeutsche Realitätsprüfung gewesen. Kinder kommen bei Kramer nicht vor, keine Sandburgen, keine Laternenumzüge, die Stadt ist nie gegebenes Zuhause, sondern stets Wahl und Gesinnung.

Wie meine Westberliner Kindheit sich in diesen Mythos fügt, verstand ich neulich, als mein Freund Konstantin und ich mit seiner kleinen Nichte ins Musical „Linie 1“ gingen. Meine Idee, weil ich die Geschichte vom Großstadtschlund früher geliebt hatte. Aber seine Nichte, aus Bonn zu Besuch, verstand nicht, was sie da sah: Menschen, die in der U-Bahn krakeelen, Frauen, die hohe Stiefel tragen und mit Männern verschwinden. Ich dagegen hatte, als ich in ihrem Alter war, mal ein mit Wasser gefülltes Kondom nach Hause gebracht. Zwei Männer hatten es mir gegeben: „Trag die Wasserbombe schön zu deiner Mama.“ Die erklärte mir dann, was ich da hatte. Und noch eine Fundgeschichte aus Westberliner Kindheit: Zur Zeit des Reaktorunglücks stürmte ich mit einem Kleeblatt, das fünf Blätter zu haben schien, in den Kinderladen, freudig und stolz, die Erzieherin weinte: „Daran ist Tschernobyl schuld.“ Überhaupt mein Kinderladen – zweiter Versuch nach aseptischem Kindergarten mit reglemetiertem Schlafen, auch ein Teil der Probebühne, die Kramer beschreibt. Zu mystifizieren gibt’s nichts – oft war er Absurdistan, oft aber auch Abenteuerspielplatz und großes Kinderglück. Verena Friederike Hasel

„The Politics of Memory“ von Jane Kramer, zu bestellen über Amazon

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