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Kultur: „Für Bush ist Irak der Anfang“

Europas moralische und Amerikas machtpolitische Illusionen – ein Gespräch mit dem Kriegsforscher David Rieff

Mister Rieff, Präsident Bush will einen Krieg führen, um Schlimmeres zu verhindern. Kann er die Europäer von der Notwendigkeit eines Präventivkriegs gegen den Irak überzeugen?

Seit der letzten Rede von Kanzler Schröder im Bundestag habe ich den Eindruck, dass es nichts gibt, was dieses Land dazu bringen könnte, militärisch aktiv zu werden.

Die Deutschen fühlen sich durch Saddam Hussein nicht bedroht. Ist Bush eine moderne Kassandra, die mehr weiß als alle anderen?

Die europäische Devise lautet: Konfrontation ist ein Fehler. Doch in den Augen von Amerikanern ist das nur ein geschicktes Manöver in der Hoffnung, dass sich das Problem von selbst erledigt. Niemand in Europa scheint es grotesk zu finden, dass Libyen den Vorsitz der UNMenschenrechtskommission führt und die Iraker beinahe den Vorsitz der UN-Abrüstungskommission übernommen hätten. Für Europäer ist so etwas Teil eines fortschreitenden politischen Prozesses: Probleme können demnach nur gemanagt, aber nicht gelöst werden. Doch Amerika ist ein revolutionäres Land. Es will die Welt nach seinem Bild formen. Und jetzt, da in Washington viele der Ansicht sind, dass die Eindämmungspolitik im Mittleren Osten gescheitert ist, steigt Europa aus. Die deutschen Pazifisten meinen sogar, wir sollten den Irak einfach sich selbst überlassen. Was würde dann wohl passieren? Die Kurden würden abgeschlachtet.

Sie haben sich als Beobachter eingehend mit dem Kosovo-Konflikt beschäftigt. Dort waren die Deutschen nach langem Zögern zu einem Militärschlag bereit, um einen Genozid abzuwenden.

In der Tat lautet die Devise, Irak ist nicht Kosovo. Allerdings haben wir eine äußerst romantische Vorstellung von den Gründen, die zum Kosovo-Einsatz geführt haben. In Wahrheit wollte man das Versagen in Bosnien wiedergutmachen. „Man ist immer bereit, den vorigen Krieg zu führen", lautet ein geflügeltes Wort in der Armee. Wir haben im Kosovo den Bosnienkrieg geführt.

Welche Lehren haben Amerika und Europa aus Bosnien gezogen?

Ich dachte, die Europäer würden begreifen, wie wenig sie in einer Welt des kantischen Friedens leben. Doch wenn Schröder jetzt sagt, Krieg kann nie ein normaler Weg sein, Probleme zu lösen, frage ich mich, auf welchem Planeten er lebt. Historisch gesehen ist Krieg der Normalfall. In Amerika haben sich nach Bosnien und Ruanda die humanitäre Linke und die interventionistische Rechte miteinander verbündet. Bush verkörpert diese ideologische Partnerschaft, die sich auf Woodrow Wilson, vor allem aber auf Ronald Reagan berufen kann.

Bush gilt als außenpolitischer Laie. Ist er sich aller Risiken seiner Politik bewusst?

Ich halte Bush für einen sehr ernsthaften Mann. Ich bin immer wieder schockiert, dass Leute denken, sie hätten es mit einem Vollidioten in Cowboystiefeln zu tun. Bush und Rumsfeld wissen, dass dieser Krieg sehr viele Opfer kosten kann. Das Problem ist, dass man einen Krieg gegen den internationalen Terrorismus nicht als konventionellen Krieg führen kann, weil Armeen Polizeiaufgaben übernehmen. Doch sobald man Sicherheitsleuten Geld und Spielraum gibt, werden sie ihn missbrauchen. Daher ist die Gefahr enorm hoch, dass wir in eine israelische Situation geraten – in einen schmutzigen Halbkrieg. Trotzdem gibt es zum Krieg gegen den Terror keine Alternative. Ich glaube nicht, dass die Franzosen es hingenommen hätten, wenn algerische Terroristen den Eiffelturm zerstört hätten. Und wenn in London statt des Baltic Exchange ein Prestigeobjekt wie Harrods in die Luft geflogen wäre, hätte die SAS am nächsten Morgen jedes IRA-Mitglied in Ulster liquidiert. Es gab Pläne für ein solches Vorgehen, sie wurden von der Thatcher-Regierung nur verworfen.

US-Vizeverteidigungsminister Wolfowitz soll Joschka Fischer nach dem 11. September eine Liste mit 60 Ländern gezeigt haben, die von den USA als potenzielle Bedrohung betrachtet werden.

So viele? Das scheint mir hoch gegriffen.

Diese Liste soll der Grund für Fischers Entscheidung gewesen sein, Deutschland aus einem weiteren Krieg herauszuhalten. Ist der Irak nur der erste Schritt auf dem langen Weg, die Liste abzuarbeiten?

Ja, Irak ist der Anfang. Das Weiße Haus hofft in Bagdad die Parameter einer künftigen US-Politik festlegen zu können. In dieser Hinsicht besteht Bushs Umfeld aus gefährlichen Extremisten. Sie träumen davon, den Nahen Osten zu demokratisieren. Und sie sind entschlossen, die Region mit Gewalt umzubauen. Im Irak soll eine ideologische Flagge in den Boden gerammt werden.

In der „New York Times" wurde kürzlich beklagt, das Hauptproblem der USA sei nicht, dass sie zu viel Macht besitzen, sondern zu wenig. Obwohl sie geeigneter als jeder andere wären, demokratische Regeln und Rechtsprinzipien in der Welt durchzusetzen, übersteige es ihre Möglichkeiten.

Manche sind verliebt in die amerikanische Macht. Sie übersehen, dass Macht stets korrumpierend auf jene wirkt, die sie ausüben. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Kreuzzug, wie er der Bush-Regierung vorschwebt, die Vereinigten Staaten nicht korrumpieren wird. George W. Bush könnte unser Augustus werden. Um Rom zu retten, zerschlägt er die Republik.

Gibt es zum amerikanischen Empire eine Alternative?

Nein. Und zwar nicht, weil Amerika so großartig wäre, sondern weil es als einzige Macht das Vakuum ausfüllt, das ein mit sich selbst beschäftigtes Europa hinterlassen hat. Niemand scheint der Welt eine Ordnung geben zu wollen. Aber die Welt braucht ein Maß an Stabilität. Nach Bosnien und Ruanda scheinen mir die Vereinten Nationen nicht in der Lage, diese Ordnung zu garantieren.

Was sollte Europa tun? Sich bewaffnen und Leichensäcke bestellen?

Ich glaube nicht an die europäische Idee des Ewigen Friedens. Es ist eine wundervolle Idee, die sich nur leider nirgendwo manifestiert außer in Europa selbst.

Die europäische Friedensordnung ist nach Jahrhunderten ständiger Kriege ein Resultat der Erschöpfung.

Richtig. Aber anzunehmen, dass dieses Modell auf andere Regionen übertragen werden könnte, indem internationale Rechtsprinzipien und Gerichtshöfe geschaffen werden, ist Wunschdenken. Europa hat lediglich die Wahl, eine vergrößerte Version der Schweiz zu werden und sich auf eine Insel der Anständigkeit zurückzuziehen – oder aufzurüsten, um seinen Willen auch gegen Widerstände durchzusetzen. Aber Europa setzt andere Prioritäten. Die Wehretats werden überall reduziert. Man muss sich nur anschauen, was aus dem Großraumtransporter A 400 geworden ist. Selbst in Friedenszeiten braucht man Luftbrücken, alle Friedensmissionen stützen sich auf große Transportkapazitäten. Doch nachdem Airbus diesen exzellenten Lufttransporter entwickelt hat, ist das Projekt plötzlich nicht mehr wichtig.

Also: Wacht auf oder haltet den Mund?

Ich würde es nicht so drastisch formulieren. Denn mir ist die europäische Haltung durchaus sympathisch. Aber man kann nicht sagen, wir wollen dieses Spiel nicht, und gleichzeitig für sich eine Hauptrolle reklamieren. Es ist paradox – trotz aller Abscheu gegenüber militärischen Optionen ist bei den Europäern der Wunsch sehr stark, sich für die Menschenrechte einzusetzen. An jeder Bushaltestelle sieht man Plakate mit hungernden Afrikanern. Selbst in Banken wird für humanitäre Projekte geworben. Trotzdem scheint man sich kaum bewusst zu sein, dass die meisten Hungerkatastrophen oder Massenmorde von Leuten begangen werden, die viel Geld damit machen. Sie morden, plündern und vergewaltigen nicht, weil sie das internationale Recht nicht kennen, sondern weil es sich um boshafte Zöglinge des Krieges handelt. Diese Schlächter werden nicht mit einer in Brüssel verabschiedeten Deklaration aufgehalten, sondern von Fallschirmjägern. Die Menschenrechtskultur ist per definitionem eine Interventionskultur. Das aber hieße, dass man die GSG 9 nach Liberia schickt, um den Diktator Charles Taylor zu entmachten.

Um die Menschenrechte zu wahren, müssen wir unmenschlich werden?

Das ist ein Dilemma aller humanitären Einsätze. Es gibt eine immer größere Kluft zwischen den moralischen Ansprüchen Europas und dem, was es zu leisten im Stande ist. Als Humanisten möchten Europäer den Opfern helfen. Doch Ruanda hat mich eine bittere Lektion gelehrt: Die Opfer von heute sind die Mörder von gestern und die Täter von übermorgen. Wir richten einen romantischen Blick auf die Opfer, die Kinder und Familien, die wir für unschuldig halten. Aber niemand ist unschuldig. In Afrika sind nicht einmal die Kinder unschuldig, obwohl sie nicht wissen, was sie tun. Humanitäre Organisationen müssen immer auch Kräfte unterstützen, die für grauenhafte Verbrechen verantwortlich sind. Sie können es nicht offen zugeben – und bestärken uns so in unserem romantischen Glauben an das unschuldige Opfer.

Während die USA nicht vor Konflikten mit anderen Mächten zurückschrecken, werden Europäer meist nur noch dort aktiv, wo sie auf ein Machtvakuum treffen.

Jede Maßnahme, die auf Widerstand stößt, bedarf nationaler Interessen und ethischer Argumente. Die Folge ist eine ziemlich undurchsichtige moralische Gemengelage. Es mag befriedigend sein, für den Frieden zu demonstrieren und Plakate zu entrollen, die den Bellizismus verdammen. Doch Staaten brauchen Strategien, keine Gefühle.

Das Desaster in Mogadischu hat gezeigt, wie empfindlich die amerikanische Öffentlichkeit auf militärische Rückschläge reagiert. Hat sich das geändert?

Rumsfeld und Cheney haben nie verheimlicht, dass dieser Krieg sehr schmerzhaft werden könnte. Und wenn sich der Irak-Feldzug hinziehen sollte, hat Bush ausgespielt. Denn die Bereitschaft zu einem Irak-Krieg ist kühl und zurückhaltend. Laufen die Dinge schief, sind die Folgen nicht absehbar.

Wäre damit auch der Krieg gegen den Terror am Ende?

Nein, das US-Militär würde bloß beim nächsten Mal umso stärker versuchen, eigene Verluste zu vermeiden.

Aus deutscher Perspektive irritiert, dass Amerika wenig Interesse zeigt, sich nach einer Intervention im Irak am Aufbau staatlicher Strukturen zu beteiligen. Dabei hat die Geschichte Deutschlands und Japans gezeigt, wie stabil politische Ordnungen werden, wenn die USA sich längerfristig engagieren.

Auch Rumsfeld glaubt, das nation building im Irak wiederholen zu können. Aber das ist völliger Unsinn. Denn Deutschland und Japan verfügten über historisch gewachsene Zivilgesellschaften, deren Wiederaufbau von Gewerkschaftsführern und einem kompetenten Beamtenapparat sowie einer industriellen Unternehmerschicht getragen wurde. Das ist in den „Schurkenstaaten“ der Gegenwart nicht der Fall. Außerdem glaube ich, dass die USA nicht besonders geschickt sind, fremden Ländern eine funktionierende Ordnung zu geben. Schauen Sie sich die Desaster in Mittel- und Südamerika an. Es ist schon schlimm genug, Rom zu sein. Aber schlimmer wäre, als Persien zu enden.

Wo werden Sie bei Kriegsausbruch sein?

In der Nähe. Vielleicht in Kurdistan.

Sie gehen in den Irak?

Nicht, solange noch gekämpft wird. Ich muss nicht noch einen Krieg miterleben, um zu sehen, wie Menschen von Waffen zerrissen werden. Außerdem können die Militärs einem Korrespondenten das Leben ziemlich schwer machen. Aber in der Nachkriegsphase entscheidet sich, ob die ganze Sache eine komplette Katastrophe oder „nur" eine Tragödie ist. Mich interessiert, was wir mit diesem Land anstellen, das wir erobert haben. Ob wir es in den Griff bekommen.

Das Gespräch führten Kai Müller und Moritz Schuller .

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