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Kultur: Für ein paar Dollar mehr

Get Rich Or Die Tryin’: Der Rapper 50 Cent erzählt im Kino sein Leben als Erweckungsgeschichte

In Hollywood sind schwarze Schauspieler noch immer auf die finsteren Eckensteher, die Straßenbarone und Drogen- Verticker abonniert. Ihre Rolle: das gekonnte Herumlungern. Es sei denn, sie repräsentieren die kleine farbige Oberschicht, die als Bezirksstaatsanwälte und Chef-Ermittler das bessere Amerika verkörpert, das jedem seine Chance gibt. Eine Lebensgeschichte haben auch diese Saubermänner selten. Die wird nur jenen zugestanden, die zur Legende geworden sind – Ali, Ray Charles oder Malcolm X. Da sie mehr als nur eine Karriere gemacht haben, erinnern sie Amerika an den Dream, den es mal hatte. Sie haben sich mit etwas angelegt, das größer war als sie. Solche Helden liebt das Land.

Auch die noch junge Lebensgeschichte von Curtis Jackson, der 1975 in einem heruntergekommenen Viertel des New Yorker Stadtteils Queens geboren wird, trägt Züge eines Epos. Bedauerlich, dass sie dann doch nur den Stoff für eine Soap-Opera abgibt: Der Vater verlässt früh die Familie, die Mutter dealt und wird erschossen, als Jackson gerade acht ist. Aus der Enge der großelterlichen Behausung entflieht der Halbwüchsige auf die Straße, wo er sich als Drogendealer und Boxer betätigt. Nach mehreren Gefängnisaufenthalten versucht er sein Glück als Rapper und gilt bald als Hoffnungsträger. Kurz vor der geplanten Veröffentlichung seines Plattendebüts wird Jackson, der sich inzwischen 50 Cent nennt, niedergeschossen. Mit neun Pistolenkugeln im Leib überlebt er nur knapp. Seine Plattenfirma lässt ihn fallen.

Soweit die Leidensgeschichte, die wie aus hunderten Gangsta-Rap-Songs zusammengeklaubt wirkt. Wie Amerika so ist, wendet sich nach diesem Niedergang alles zum Guten. Hip-Hop-Superstar Eminem erkennt das schlummernde Potenzial des Unkaputtbaren, verpflichtet ihn für sein Label und produziert mit der Produzentenlegende Dr. Dre die erste Platte, die 2003 zu einem der erfolgreichsten Debüts in der Pop-Geschichte avanciert und 50 Cent zum größten Hip-Hop-Star der Gegenwart macht.

„Get Rich Or Die Tryin’“, heißt der Film, mit dem Hollywood die Lebensgeschichte von Curtis Jackson nun als schwarze Wiederauferstehungsmesse zelebriert. Werde reich oder stirb dabei, es zu versuchen – das klingt wie das ABC eines Raubtierkapitalismus, bei dem die alte Losung wieder gilt: Geld oder Leben. Die Parallelen zu Eminems ebenfalls autobiografisch eingefärbtem Film „8 Mile“ sind kaum zu übersehen. In beiden Fällen wird die Biografie eines aktuellen Hip- Hop-Idols fiktionalisiert, wobei die betreffenden Stars sich der Einfachheit halber gleich selbst spielen. Beide Filme behandeln ausführlich die aussichtslose Lebenssituation ihrer Helden, aus denen die sich nur Kraft der Musik befreien können.

Während „8 Mile“ jedoch die schäbige Trailerpark-Realität in den Detroiter Suburbs als glaubwürdigen Hintergrund für die klassische Aufsteigergeschichte eines White-Trash-Kids nutzt, reduziert „Get Rich Or Die Tryin’“ das New Yorker Gangster-Szenario zur pittoresken Kulisse für eine Heiligsprechung des strauchelnden Helden. Denn dies stellt der Film schnell klar: Curtis Jackson mag auf die schiefe Bahn geraten sein, er dealt mit Drogen und schießt auf Menschen, aber ein Bösewicht ist er nicht. Zweifel an seiner moralischen Aufrichtigkeit räumt 50 Cents sonore Erzählerstimme voller Reue beiseite. Und so gipfelt der Canossagang des Gestürzten in dem berühmten Neun- Kugel-Shootout. Während der Rapper mit dem Tod ringt, werden Szenen seiner Geburt dagegengeschnitten, eine religiöse Erweckungssequenz.

Der irische Regie-Routinier Jim Sheridan („Im Namen des Vaters“, „In America“) hatte die undankbare Aufgabe, die Anekdotensammlung dramaturgisch in den Griff zu bekommen. Große Teile inszeniert er als harten Gangsterfilm, in dem sich die üblichen Ghetto-Visagen das Leben schwer machen. Daneben wird eine melodramatische Liebeserzählung, eine brutale Gefängnisepisode und nicht zuletzt eine musikalische Initiations- und Erfolgsstory erzählt.

Richtig gut ist „Get Rich Or Die Tryin’“ in keinem seiner verzettelten Handlungsstränge. Als Gangsterfilm lässt er die Stringenz und atmosphärische Dichte, vor allem aber den bedrohlichen Realismus von Vorbildern wie „Boyz in the Hood“ (1991) oder „Menace II Society“ (1993) vermissen. Als Milieustudie wirkt er schlicht naiv. Die Liebesgeschichte leidet unter 50 Cents hölzernem Mienenspiel. Und als Musikfilm wirft das Ganze die Frage auf, wie aus 50 Cent nur der Superstar werden konnte, der er heute ist. Sogar in den Rap-Szenen wirkt der muskelbepackte Sänger seltsam verhalten. Dass der Young Caesar seine korpulenten weißen Gefängniswärter mit seinen Reimen zum Kopfnicken verleitet haben soll, ist angesichts des beklagenswerten Mangels an Temperament schwer nachvollziehbar.

Dennoch besitzt das Biopic eine schleichende Eindringlichkeit. Denn 50 Cent schlüpft mit somnambuler Selbstverständlichkeit in die Haut seines Alter Egos und schert sich nicht darum, was an schauspielerischen Konventionen, an Timing, Einfühlungsvermögen oder Ausdrucksfähigkeit von ihm erwartet wird. Er spielt nicht, er ist. Wie ein selbstzufriedener Dickhäuter schlurft er mit schläfriger Miene und minimalistischen Gesten durch ein Szenario, das vor allem seiner eigenen Legendenbildung dient. Er wird so zum ruhenden Zentrum. Zum Verweigerungsrebellen, der sogar sich selbst verbietet, sich zu interpretieren.

Ohnehin ist die Kunstfigur 50 Cent längst über den Bedeutungszusammenhang eines Lebenslaufs hinausgewachsen. Curtis Jackson hat sein dramatisches Vorleben als Rohmasse für etliche Songs ausgeschlachtet. Es ist die Folie, vor der er einem hemmungslosen Materialismus und Hedonismus frönt und damit bruchlos an die Tradition des Hip-Hop-Mainstreams anknüpft. Der hat seit jeher die individuelle Überwindung der Ghetto-Armut durch den Erwerb und Gebrauch von Luxusgütern aller Art propagiert. So sind denn auch die Videos von 50 Cent opulent bebilderte Werbefilmchen für schnelle Autos, willige Frauen, teure Klamotten und luxuriöse Landsitze – tatsächlich erwarb 50 Cent für einige Millionen Dollar das einstige Anwesen von Mike Tyson, eine Referenz an eine Zentralgestalt der Black Culture.

Trotzdem will dieser Film mehr erreichen, als all die 50-Cent-Songs leisten können. Dem zur Muskelmaschine hochgezüchteten Körper des Helden verleihen die wie Wundmale Christi ausgestellten Geschossnarben transzendente Dimensionen. Indem er den gewaltsamen Tod auf der Straße auf wundersame Weise überlebt hat, kann er als wandelndes Memento Mori das Streben nach irdischem Reichtümern gleichzeitig forcieren und relativieren.

Curtis Jackson soll im täglichen Umgang übrigens ein höflicher, freundlicher, schüchterner Zeitgenosse sein, der Drogen und Alkohol entsagt und ein vorbildliches Familienleben führt. Aber was ist schon das wirkliche Leben gemessen am wahr gewordenen amerikanischen Traum?

Ab Donnerstag in 20 Berliner Kinos. Originalfassung im CineStar Sony Center.

Jörg W, er

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