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Kultur: Für immer Czernowitz

Angesichts der Weltläufte muß man Herrn Zwilling ja recht geben.Der nämlich, so heißt es, sei ein böser Pessimist.

Angesichts der Weltläufte muß man Herrn Zwilling ja recht geben.Der nämlich, so heißt es, sei ein böser Pessimist.Herr Zwilling, ein bald siebzigjähriger Herr mit Brille, dem sich der Gram über das generelle und das eigene Schicksal in Gesicht und Haltung eingeschrieben hat, ist auf Anhieb sympathisch.Frau Zuckermann nennt sich selbst eine Optimistin, dabei ist sie zwanzig Jahre älter und hat mindestens so schlimme Dinge erlebt."Ich laß das nicht gelten" sagt sie, "nochmal einen Hitler oder Stalin wird es nicht geben".- "Es kommt wahrscheinlich ein schwerer Winter" sagt Herr Zwilling.

Herr Zwilling erzählt Witze, die traurig und wirklich gut sind.Hinter Frau Zuckermanns energetischer Koketterie versteckt sich auch Bitterkeit.Vielleicht ist ja der Gegensatz zwischen Pessimismus und Optimismus weniger eine grundsätzliche Frage als eine der Selbstdarstellung.Herr Zwilling und Frau Zuckermann jedenfalls sind Freunde und ein herzbewegendes komisch-trauriges Paar.Jeden Abend schaut der "Ritter von der traurigen Gestalt" (Zuckermann) bei der klugen Dame vorbei, die ihm den Kopf zurechtrückt und ein Nachtmahl offeriert, um dann gemeinsam fernzusehen.

Beide haben unter kaum glaublichen Umständen als Juden erst im faschistisch-rumänischen, dann im sowjetischen Czernowitz Hitler und auch Stalin überlebt, Ghetto, Verfolgung, Versteck und Deportation.Beide haben bis jetzt dort ausgeharrt, nicht ganz freiwillig und aus jeweils verschiedenen Gründen.Jetzt sind sie, deutschsprechend und vielsprachig, Weltbürger und Juden, letzte Überbleibsel einer aussterbenden Welt in einer Nachwende-Ukraine, die sich unbarmherzig neu orientiert.Frau Zuckermann, die gerne Villon und Heine zitiert, gibt mit neunzig Jahren Englischstunden für die Kinder derer, die auswandern wollen in den Westen.Herr Zwilling lehrt mit altmodischer Autorität Chemie für Studenten, die die Geschichte ihres Professors kaum interessieren dürfte."Ich glaube nicht, daß es noch eine Frau gibt, die so viele Tote gesehen hat", sagt Frau Zuckermann und meint damit auch ihre Familie.Eltern, Ehemann und Sohn sind im Lager kurz hintereinander an Typhus gestorben.Auch aus Herrn Zwillings Familie hat niemand überlebt.

Schon einmal, mit "Kalte Heimat", hatte sich Volker Koepp an den östlichen Rand Mitteleuropas begeben, wo die Völkerwanderungen der Neuzeit aufeinanderstoßen.Damals lockte der Dichter Johannes Bobrowski den Regisseur nach Ostpreußen; diesmal bewegte sich Koepp auf den Spuren Paul Celans, des berühmtesten Sohns der Stadt Czernowitz.Aber dann traf er dort erst den Herrn Zwilling und dann die Frau Zuckermann, die ein paar Jahre vor dem Dichter geboren wurde und immer noch lebt (aber vielleicht bald nicht mehr) und auch eine Schallplatte vorspielen kann, wo der Dichter spricht von der Zeit, daß es Zeit wird.

Volker Koepp größtes Talent: ganz gewöhnliche Menschen aufzuspüren und vor der Kamera das Besondere aus ihnen herauszukitzeln.Seien es die Arbeiterinnen des Obertrikotagenwerks in Wittstock/Dosse, die er über Jahrzehnte filmisch begleitet hat, seien es ostpreußische Bäuerinnen.Fast immer sind es die Frauen, zu denen der Funke überspringt, auch hier.Es ist dieses fast verliebte Interesse für noch unbekannte Menschen, das sich auf die Zuschauer überträgt.Und es ist die Kamera Thomas Plenerts, die diese Annäherungsbewegungen einfängt und übersetzt.Zum Beispiel die Dorffeier zu Beginn: Die Kamera beobachtet eine Weile die Szene, diskret und schaulustig zugleich, dann folgt sie zügig, doch leicht zögernd in die Hinterräume.Schwenk auf die Thekendame, die sich in Positur setzt, kurzes Verweilen bei ein paar Spielern, um dann diskret weiterzuwandern, zurück nach vorne, fast scheu, zärtlich.Auch dem seltsamen Paar nähert sich der Film mit behutsamer Geste.Erst fühlt man sich fast als Eindringling, als die beiden, am Ofen in der Stube plaziert, fast widerwillig zu sprechen scheinen.Diskret wird dann eine Dramaturgie aufgebaut, die viele (Um-)Wege geht, aber ihr Ziel nie aus den Augen verliert.Nie präsentiert Koepp dabei seine Helden als sterile "Zeitzeugen".Dazu hat er zuviel Respekt vor den Menschen und vor der Zeit.

Vieles, auch ein Gang auf den Friedhof, hat Koepp für den Film hergestellt, inszeniert, ohne das zu verbergen.Beiläufig fließt dabei auch die Arbeit des Filmteams ein.Koepps Fragen.Die Plazierung der Figuren.Ob er etwas vorlesen könne, fragt der Regisseur seinen Hauptdarsteller."Natürlich", sagt Herr Zwilling, "Sie werden mir sagen, wann".Und am Ende gratuliert uns Frau Zuckermann zu unserem neuen Bundeskanzler.Das war im Herbst.Und ziemlich optimistisch.

In den Kinos Blow Up, Filmbühne am Steinplatz, fsk und in den Hackeschen Höfen

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