zum Hauptinhalt
Thomas Hoepker

© dpa

Interview: ''Füße sind das wichtigste Werkzeug des Fotografen''

Thomas Hoepker, erstes deutsches Mitglied der berühmten Foto-Agentur Magnum, über die Konkurrenz aus dem Internet und die Jagd nach dem besten Motiv.

Thomas Hoepker (71), einer der international renommiertesten deutschen Fotografen, hat für Magazine wie "Kristall", "Twen", den "Stern" und "Geo" gearbeitet. Zudem war der gebürtige Münchner zu DDR-Zeiten einer der ersten im Osten Berlins akkreditierten Fotografen aus dem Westen. Hoepker ist vielfach ausgezeichnet worden. 1989 wurde er erstes deutsches Mitglied der Agentur Magnum, bis vor kurzem war er auch deren Präsident. Im Interview macht er deutlich, dass sich auch die vor 60 Jahren von Henri Cartier-Bresson und Robert Capa mitgegründete Kooperative auf die Wandlungen durch das Internet und die damit verbundenen neuen Lesegewohnheiten einstellen muss.

Für ein gutes Bild, das eine Situation in einem Augenblick erschließt, werde es in der bunten Flut der Fotos im World Wide Web auch weiterhin einen herausgehobenen Platz geben, erwartet Hoepker. Zu seinen bekanntesten Bildern gehört die Faust von Muhammad Ali, hinter der der Boxer selbst nur noch schemenhaft zu erkennen ist. Auch die Aufnahme einer Gruppe sich unterhaltender junger Menschen, in deren Hintergrund die Trümmer der zusammengebrochenen Türme des World Trade Center rauchen, wurde in den vergangenen Jahren immer wieder gedruckt und diskutiert.

"Das wichtigste Werkzeug eines Fotografen sind seine Füße", sagt Hoepker und möchte das ausdrücklich als Ratschlag verstanden wissen. Er läuft bei seiner Bilderjagd stundenlang durch die Straßen. Seit der Digitalisierung nutzt er Kameras ohne Film, optimiert die Bilder zu Hause am Bildschirm und druckt auch die Prints für seine Ausstellungen selbst. Hoepker belastet sich nicht mehr mit einer schweren Ausrüstung und geht mit einer Spiegelreflexkamera sowie einem Objektiv der Brennweite von 24 bis 105 Millimetern aus dem Haus.

Wie haben sich die Arbeitsbedingungen von Reportagefotografen seit der Gründung von Magnum vor 60 Jahren geändert?

Extrem. Für "Kristall" war ich manchmal ein bis drei Monate, für den "Stern" zwei bis sechs Wochen unterwegs. Dass man heute auf Redaktionskosten so lange irgendwo hinfährt, ist vorbei, auch für Fotografen wie mich. Heute heißt es eher: "Fahr' nach Hannover, sei aber abends wieder da, damit wir das Hotel sparen. Du hast eine halbe Stunde Zeit für ein Porträt von Herrn X". Neu ist: Man muss die Bilder sofort an Ort und Stelle bearbeiten und in die Redaktion senden. Das ist nicht unbedingt schlecht, weil der Fotograf so mehr Einfluss hat als früher. Damals haben wir einen Sack Filme abgeliefert, und ein Bildredakteur hat sich darüber hergemacht und etwas ausgesucht. Manchmal war das Editieren einem ganz aus der Hand genommen. Jetzt kann man aussortieren, was man nicht vorzeigen möchte. Man sitzt allerdings den halben Tag im Hotel und sucht aus.

Welche Rolle spielen heute Sicherheitsmaßnahmen?

"Viele Bilder sind nicht mehr möglich, weil die Sicherheitsbeamten niemanden mehr an die Akteure heranlassen. Cartier-Bresson stand noch unmittelbar neben dem Scheiterhaufen von Mahatma Gandhi, und ich habe mich vor Jahren zentimeternah an den Schah von Persien herangerobbt, als ein Untertan ergeben seine Schuhe küsste."

Was ändert sich durch die Digitalisierung und das Internet?

"Ich habe mich voll ins Digitale reingeschmissen, vom ersten Moment an. Ich gehe immer mit der Technik und habe auch mein analoges Archiv digitalisiert. Bei der Weiterverarbeitung bis hin zum fertigen Druck an der Wand ist alles möglich. Es ist eine große Chance für Fotografen, die ganze Kette zu bedienen, alles zu steuern, sein eigener Produzent oder sein eigener Verleger zu werden. Wir brauchen die Verlage eigentlich nicht mehr. Über das Internet kann der Fotograf seine Bilder unglaublich weit streuen und jedermann verfügbar machen - eine tolle Chance. Die Frage ist nur, wie verdient man Geld damit?"

Gibt es in der Flut des Internets noch Bilder, die im Gedächtnis haften bleiben?

Es gibt Milliarden Bilder auf den Websites. Das durchschnittliche Niveau ist grauenhaft, etwa wenn Teenager ihre Bilder austauschen, um sich gegenseitig von der vergangenen Party zu erzählen. Aber es wird immer auch hohe Qualität geben. Vielleicht wird diese absurderweise dann besonders herausstechen, wenn man zwischen all' diesem gequirlten Zeug etwas sieht, was eine gute Komposition und eine starke Aussage hat, eine Geschichte erzählt. Platz für das gute Bild ist immer, auch im Netz.

Welches sind die klassischen Themen von Magnum-Fotografen? Muss sich Magnum an neue Strömungen anpassen?

Magnum hatte vom ersten Tag an immer zwei Pole, für die die Gründer Robert Capa und Henri Cartier-Bresson standen. Capa war der klassische Kriegsreporter und Bildjournalist. Henri war von Anfang an der Künstler. Ihm ging es mehr ums Bildermachen und Komponieren. Zwischen diesen Polen bewegt sich Magnum noch heute, und das ergibt unseren Stil. Wir sehen uns noch als humanitäre Fotografen, kümmern uns um Randgruppen und Krisen, also Leute, denen es dreckig geht. Unsere Filmstar-Fotos haben immer etwas weniger Glamour als beim Atelierfotografen und oft mehr Privates als andere Bilder. Neue Strömungen ergeben sich zwangsweise durch die Aufnahme junger Fotografen, von denen manche überhaupt nicht im Fotojournalismus angefangen haben, etwa Alec Soth oder Jim Goldberg, die bereits hohe Preise bei Sammlern erzielen.

Sind gute Fotos Abbild, Kommentar oder beides?

Ich erwarte, dass gute Fotos ein Kommentar über das Dargestellte sind. Es gibt objektive Fotografie, aber die ist meist langweilig: Wer alle 15 Sekunden automatisch ein Bild eines Ereignisses aufnimmt, hat am Ende kein gutes Bild. Eine solche Numerik funktioniert nicht, weil das Auge des Bildermachers wichtig ist. Man muss auch seine Meinung rüberbringen und nicht nur schön komponieren. Der Fotograf als Autor ist wichtig. Er soll nicht nur darstellen und registrieren was passiert, sondern zu seinem Sujet eine Meinung entwickeln. Entweder hasst man es oder man liebt es, aber lauwarm ist immer uninteressant.

Warum wird die Fotografie zunehmend als Kunstgenre wahrgenommen?

Ich glaube, es hängt mit der Bilderflut des Internets zusammen. Die Bilder, die sich auf den Bildschirm ergießen, sind genauso schnell wieder weg. Demgegenüber ist ein Foto, das auf schönem Papier gedruckt ist, das man anfassen kann, das eine haptische Qualität hat, das man an die Wand hängen oder auf den Tisch legen kann, ein Objekt. Während alles das, was im Internet passiert, eine flüchtige Illusion ist, die mit dem Abschalten des Stroms wieder vorbei ist. Ich denke, dass die Fotografie als Gegensteuerung zum Internet aufgewertet wird. Es kommt hinzu, dass Fotografie noch erschwinglich ist. Sie wird aber immer teurer - gut für uns. Im Augenblick verschiebt sich der Fokus in Richtung der Kunst, hin zu Fotos, die in der Galerie oder im Museum hängen.

Welche Gefahren gehen von der Digitalisierung des Mediums aus?

Jeder hat seine eigene Antwort. Meine ist: Ich mache am Computer nur das, was früher in der Dunkelkammer von Hand möglich war. Ich verändere den Kontrast und die Helligkeit oder belichte Stellen nach. Verboten finde ich, Inhalte zu verfälschen, zum Beispiel einen Telegrafenmasten aus dem Bild herauslöschen. Oder, noch schlimmer, einen Menschen in das Bild hineinzubringen. Oder ihm einen Hut aufzusetzen. Oder seinen Hut umzufärben. Andere - meist jüngere Fotografen - sagen hingegen: "Das ist unser Metier, wir können das technisch machen, also machen wir es auch."

Der Künstler Andreas Gursky etwa setzt seine großformatigen Prints - darunter das derzeit teuerste Foto der Welt - aus vielen Schnipseln digital zu täuschend echten Kompositionen zusammen ...

... ich weiß als Betrachter aber im Hinterkopf, dass es nicht so gewesen ist - und dann verliert so etwas schnell an Wert für mich. Dann verliert das Bild seine Aussage, es ist keine Erzählung mehr aus der Wirklichkeit, sondern ein respektables Produkt, das ein Künstler aus seiner Fantasie zusammengesetzt hat. Das tolle an der Fotografie ist doch, dass sie ein Scheibchen Wirklichkeit zeigen kann. Wenn das funktioniert, finde ich das wesentlich aufregender als den tollsten Gursky.

Wagen Sie einen Ausblick auf die Fotografie und Magnum in 60 Jahren?

60 Jahre vorauszuschauen ist kaum möglich, weil alles so irre schnell geht. Was in dieser Woche noch gilt, muss in der nächsten Woche nicht mehr stimmen. Das ist atemberaubend und spannend. Wir sind, so glaube ich, an dem Punkt, an dem die gedruckte Presse langsam verschwindet. Der alte Markt bricht weg. Die New York Times etwa hat systematisch ihre Internet-Präsenz ausgebaut. Jetzt ist der Punkt erreicht, wo die Zeitung im Web interessanter ist als in der gedruckten Ausgabe. Sie vernachlässigen sogar die gedruckte Ausgabe und haben das Format beschnitten. Im Internet-Angebot finden sich riesige Recherchen, Karten, Statistiken, Interviews, Filme - die ganze Medienpalette. Bisher musste dafür bezahlt werden, seit kurzem ist fast alles kostenlos.

Ist damit das Ende des klassischen Foto-Journalismus vorgezeichnet?

Wir als Fotografen fragen uns, wie wir in dieser Umgebung Geld verdienen können. Auf Online-Fotoseiten wie Flickr wird eine riesige Menge Bilder umgesetzt. Wenn man dort ernsthaft sucht, finden sich auch journalistische Bilder - zum Teil auch sehr gute. Sie werden aber verschenkt oder für ein paar Dollar verkauft, vielleicht auch mal für 50. Nicht aber für die 250 oder 1000, die wir eigentlich für die Arbeit haben müssten. Die Konkurrenz dieser Billigprodukte ist immens. Dazu kommt, dass Zeitungen und Agenturen Bilder suchen, die von Leuten kommen, die zufällig dabei waren. Bei den U-Bahn-Anschlägen von London saßen die Berufsfotografen noch zu Hause, da waren die ersten Bilder schon von Handys aus gefunkt. Man kann unsere Agentur aber auch nicht auf das festfrieren, was die Gründerväter gemacht haben. Es geht immer weiter. Und irgendwann sterben die alten Mitglieder ja auch weg.

Wie bewahrt Magnum - auch in Zukunft - seine Qualität?

Wir befinden ja gemeinsam darüber, wer Mitglied wird. Jedes unserer drei großen Büros hat jährlich rund 100 oder mehr Bewerber und reduziert diese auf zwei oder drei. So bleiben nur eine Handvoll Kandidaten, über die wir ernsthaft sprechen. Die stellen sich einem harten Wettbewerb. So sind wir wohl der exklusivste Club für Fotografen. Der ist so exklusiv wie das Kardinalskollegium, es ist nur noch schwerer reinzukommen. Das ist ziemlich snobistisch, aber es hat sich bewährt. Auf lange Sicht haben wir keine Niete bei uns. Der Prozess dauert mindestes sechs Jahre bis zur Vollmitgliedschaft - und einige fliegen kurz vorher wieder raus. Das ganze Aufnahmeverfahren ist wirklich sehr hart.  

Thilo Resenhoeft[dpa]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false