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Kultur: Galerie "achshav.now": Die Sanduhr der Geschichte

now": Das klingt wie ein Ruf, der Gegenwart einfordert: jetzt, sofort. Eröffnet wurde die neue Berliner Galerie mit Zeichnungen und Skulpturen, die aus rotem Sand gestreut sind.

now": Das klingt wie ein Ruf, der Gegenwart einfordert: jetzt, sofort. Eröffnet wurde die neue Berliner Galerie mit Zeichnungen und Skulpturen, die aus rotem Sand gestreut sind. Nichts wäre besser geeignet das Flüchtige des Augenblicks zu betonen, als die vergänglichen Kunstwerke von Micha Ullman. Kaum geschützt markieren sie auf dem Boden der Galerie und in Vitrinen Spuren, die in viele Richtungen weisen. Sie führen in die Heimat des Künstlers in Israel, von woher er säckeweise den roten Sand mitnimmt. Die Sandspuren dokumentieren seine Ankunft hier und die Energie, mit der er die Räume füllte. Und sie deuten mit Leerstellen an, dass etwas stattfand, was schon wieder vorbei ist. Das Bild, was wir sehen, ist nicht mehr vollständig und muss von unserer Vorstellungskraft ergänzt werden.

"achshav.now." Auch die Zweisprachigkeit im Namen der Galerie von Solveig Bellgardt-Mertens ist Teil des Programms. Sie selbst ist in Holland aufgewachsen, ihre Eltern kamen aus Norwegen und Belgien. Wie eine Kette von Reisen hört es sich an, wenn Bellgardt-Mertens von ihrem Leben erzählt. Sie hat für Fluggesellschaften gearbeitet und Lebenspartner bei Recherchen begleitet. In der Liebe zur Kunst setzt sich die Abenteuerlust fort: "achshav.now" ist ihre erste Galerie. Das Konzept bereitete sie zwei Jahre lang mit Besuchen in Israel vor. Sie hat mit Kuratoren, aber auch mit Gewerkschaftlern oder Psychologen gesprochen, Museen ebenso wie Schützengräben besucht und versucht, so viel wie möglich von diesen unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten aufzunehmen.

An der israelischen Gesellschaft fasziniert sie besonders die kosmopolitische Zusammensetzung, trotz aller Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. Das Standhalten gegenüber den politischen Konflikten begeistert sie dann auch an der Kunst aus Israel. "Es ist in dieser Gegend nicht möglich, Kunst zu machen, die nicht auch politisch ist," sagt sie. Auch Rivka Rinn, die ab Juli bei ihr ausstellt, betont: "Künstler sein in Israel ist schon ein politisches Statement an sich." Sie erinnert sich an eine Zeit während des Libanon-Krieges, als sie bei jedem Hubschrauber, den sie hörte, an die Verwundeten denken musste und am Sinn künstlerischen Handelns zu zweifeln begann. Bis die Überzeugung in ihr wuchs, der Angst und den politischen Konflikten nicht allein das Feld überlassen zu dürfen. Doch in ihren fotografischen Arbeiten schwingt diese Beunruhigung immer mit: in jedem Augenblick eingeholt werden zu können von einer ganz anderen Wirklichkeit.

Einmal, stellt sich Solveig Bellgardt-Mertens vor, würde sie gerne in einer Ausstellung die Militarisierung der Gesellschaft in einem Land, in dem jeder Mann und jede Frau Soldat gewesen ist, thematisieren. Im Mai stellt sie zunächst als zweiten Künstler den Maler Tsibi Geva vor, der ornamentale Motive verfremdet, wie die Muster von Kopftüchern und Back Gammon Brettern. Das Motiv der Barrikade und des Widerstandes, von abgesperrten und unzugänglichen Räumen, wird in seinen Arbeiten auf verblüffende Weise virulent.

Geplant sind auch Ausstellungen mit der Fotografin Efrat Shvily und der Videokünstlerin Ariella Azoulay, die nach Berlin erstmals mit Catherine Davids Ausstellung "Stand der Dinge" kamen. "Ich möchte auch palästinensische Künstler vorstellen und Europäer und Amerikaner, die in Israel gearbeitet haben", baut die Galeristin jeder Befürchtung vor, Kunst aus Israel könnte eine nationale Verengung bedeuten.

Für den Versuch, politische Grenzen zu überwinden, steht auch das Werk von Micha Ullman. Vor dreißig Jahren begannen seine Installationen mit Sand, als er Erde aus einem arabischen Dorf und einem Kibbuz gegeneinander austauschte. In Berlin eröffnet seine "Bibliothek" am Bebelplatz den tiefsten Raum des Vermissens - all jener Bücher, die an diesem Platz verbrannt wurden oder nie geschrieben wurden, weil ihre Autoren nicht überlebten.

So sind Ullmans Gruben und Steinbohrungen mit historischen Orten verbunden, während seine Sandschüttungen eine persönliche Topographie beschreiben. Abdrücke von Möbeln haben helle Rechtecke in dem roten Sand auf dem Boden der Galerie hinterlassen. Zweifache Bilder entstehen so, die im Positiv von einer weiten Landschaft und ursprünglichen Prozessen der Formwerdung erzählen und im Negativ von den Spuren des Menschen und seinen Beschäftigungen. Städte werden errichtet, zerschossen, unter Sand verschüttet und wieder ausgegraben: Wie mit dem Zeitraffer durchquert Ullman in diesen einfachen Bildern das tägliche Geschehen in seiner Heimat.

Katrin Bettina Müller

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