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Kultur: Galerie Berinson: Himmel über Berlin

Auf seiner Geschäftskarte bot sich Waldemar Titzenthaler als Spezialist an für Aufnahmen von Tagesereignissen, Architekturen, Landschaften, Innenräumen, Maschinen-, Kunst- und Industriegegenständen, Sportbildern sowie Gruppen-Aufnahmen. Über 70 000 Negative umfasste sein Archiv, als er 1937 starb.

Auf seiner Geschäftskarte bot sich Waldemar Titzenthaler als Spezialist an für Aufnahmen von Tagesereignissen, Architekturen, Landschaften, Innenräumen, Maschinen-, Kunst- und Industriegegenständen, Sportbildern sowie Gruppen-Aufnahmen. Über 70 000 Negative umfasste sein Archiv, als er 1937 starb. Viele Bücher über das Berlin der Jahrhundertwende bis in die zwanziger Jahre beerben bis heute diesen unspektakulären Chronisten der Stadt, der für zahlreiche Zeitschriften und Verlage arbeitete. Die Landesbildstelle und das Berlinmuseum hüten seine Werke als topographische Zeugnisse, und nur selten tauchen originale Abzüge auf dem freien Markt auf.

Deshalb betrachtet es der Galerist Hendrik Berinson als besonderes Glück, zwölf gut erhaltene Abzüge entdeckt zu haben, zumal nicht alle veröffentlicht sind. Heute erstaunt vor allem die Weite im repräsentativen Berlin, die selbst bei starkem Verkehr von Omnibussen, Bierkutschen und Polizeipferden dem Boulevard "Unter den Linden" etwas von einer Parklandschaft gab. Titzenthaler fotografierte gern aus Augenhöhe der Statuen, die auf den klassizistischen Palästen die Stadt bewachen. Das gab nicht nur räumliche Übersicht, sondern vermittelte auch beruhigende Distanz.

Dennoch finden sich in seinen Aufnahmen Spuren eines lakonischen Kommentars, mit dem sich der Sohn eines Hoffotografen von einem Propagandisten des wilhelminischen Kaiserreiches absetzte. Vergleicht man seine Bilder von Paraden und Denkmalsenthüllungen mit den etwa zeitgleich entstandenen Gemälden von Anton von Werner, wird der Unterschied deutlich. Wo der Maler eine vor Eitelkeit und anekdotischer Selbstgefälligkeit strotzende Visitenkarte malte, verschwindet bei Titzenthaler das Publikum in der Anonymität der Großstadt. Zu den beeindruckendsten Bildern bei Berinson gehört eine Paradetruppe, die "Unter den Linden" in den Regen geraten ist. Die Wolken hängen so tief, dass sie fast auf den Dachfirsten aufzuliegen scheinen. Das Straßenpflaster glänzt nass wie lackiert. Säbelspitzen und Pickelhauben sind eng aneinandergerückt, eingekeilt zwischen den schwarzen Regenschirmen der Zivilisten, die den Zug begleiten - der ganze Stolz ist dahin.

Katrin Bettina Müller

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