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Galerie Carlier Gebauer: Streitzeit

Nur stumme, deswegen aber um so aussagekräftigere Bilder: Filmkunst von Aernout Mik bei Carlier Gebauer.

Das Haus ist dicht. Die Fenster sind verrammelt, die Türen verschlossen. Langsam wandert die Kamera durch die herrschaftlichen Räume. Man sieht Menschen debattieren. Eindeutig wird Politik gemacht, zumindest kann das jeder entziffern, der einmal TV-Nachrichten gesehen hat. Über was genau im jüngsten Film von Aernout Mik gesprochen wird, bleibt unklar. Denn der Film, den die Galerie Carlier Gebauer in einer ausladenden Projektion zeigt, hat keinen Ton. Nur stumme, deswegen aber um so aussagekräftigere Bilder. Die Inhalte bleiben abstrakt, doch das Anliegen erkennt man schnell: „Communitas“ (2010) handelt von der Gemeinschaft, vor allem aber davon, wie schwer sie auf den Weg zu bringen ist. Und dass sie fast unmöglich abzubilden ist.

„Communitas“, den Begriff hat Mik sich aus der Gesellschaftstheorie und Kulturanthropologie geborgt. Dort bezeichnet er eine Gemeinschaft im Zustand des Werdens. Dass es dabei auch um den mythischen Urgrund der Demokratie handelt, liegt auf der Hand. Genauso, wie die Tatsache, dass es in diesen Momenten vor allem auch um eins geht: ums Zusammenraufen und Aushandeln der Grundbedingungen des gemeinsamen Lebens. Und genau das machen Miks Darsteller: Sie handeln, sie streiten und verständigen sich.

Der Film konkretisiert diese recht allgemeinen Überlegungen schon über den Schauplatz. Gedreht wurde in Warschau im „Kultur- und Wissenschaftspalast“, der als „Geschenk der Sowjetunion“ 1955 in der polnischen Hauptstadt erbaut wurde. Und so ist dieser im Volksmund lapidar „Stalintorte“ oder „Stalins Rache“ genannte Bombastbau nicht nur ein architektonischer Markstein, sondern auch Mahnmal der Unterdrückung durch den großen sozialistischen Bruderstaat.

Dass dieses Haus im nationalen Gefüge Polens eine ambivalente Rolle spielt, wird in Miks Film unter anderem deutlich, wenn Aktivisten in einer Art Prozession ein Pappmodell des Gebäudes in das Sitzungsrund tragen und es hin und her werfen. Die Geschichte und ihre Symbole sind und bleiben eines der größten Schlachtfelder jeder kollektiven Identität. In den verrammelten Palast hat Mik sowohl polnische Staatsbürger als auch vietnamesische Immigranten gesperrt – und damit eine ethnische Bruchlinie im sonst nach wie vor sehr homogenen polnischen Volk sichtbar gemacht. Während die Vietnamesen ihr Recht auf Teilhabe einklagen, müssen die Polen lernen, es ihnen zu geben. Gemeinschaft, so könnte man formulieren, ist nicht nur ein Recht. Sondern auch eine Pflicht, eine Bürde.

Am Ende aber geht es in Miks Film auch um die Darstellbarkeit beziehungsweise Undarstellbarkeit abstrakter Prozesse. Denn dass die Handlungen in „Communitas“ sich als „Politikmachen“ dechiffrieren lassen, liegt weniger an ihrem Gehalt als an der Konditionierung durch standardisierte Medienbilder. So driften die Bilder ohne erkennbare Dramaturgie über die Projektionsflächen. Alles mäandert vor sich hin, bricht plötzlich ab, um anderswo wieder zu beginnen. Doch genau das ist sie, die Demokratie: ein Loch in der Zeit.

Galerie Carlier Gebauer, Marktgrafenstr. 67; bis 4. 12., Di –Sa 11 – 18 Uhr.

Dominikus Müller

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