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Auf der Seidenstraße. Blick in Brauns Ausstellung „Ku Lak“ in der Galerie Esther Schipper.

© Jörg von Bruchhausen

Galerie Esther Schipper: Im Auge des Aliens

In der Galerie Esther Schipper breitet Matti Braun sein Material aus. Interpretieren sollen andere.

Galerie Esther Schipper, Potsdamer Str. 81 E. Bis 22.2., Di–Sa 11–18 Uhr

Ist das jetzt Kunst oder Deko? Es sieht wirklich alles sehr schmuck aus und würde jedes Interieur verschönern. Diese im Kunstlicht des fensterlosen Raums so herrlich bonbonbunt leuchtenden 26 Glasobjekte in zartem Lachsrosa oder grellem Pink, in Limetten- und Stachelbeer- und Jadegrün, mal annähernd kugelrund, oft eher pillenförmig, einmal an eine umgedrehte Vase erinnernd. Sie sind auf drei filigranen Designertischen arrangiert und könnten in jedem Concept Store eine gute Figur machen, etwa neben Venini-Vasen aus Murano oder gravierten Gefäßen der Glasmanufaktur Theresienthal aus Niederbayern.

Tatsächlich hat auch Braun die Objekte in Niederbayern fertigen lassen. „Ku Lak“ ist die sechste Ausstellung der Galerie Esther Schipper mit dem 1968 in Berlin geborenen, in Köln lebenden Braun. Und wenn es in einer Galerie steht, ist es, natürlich, Kunst. Und wenn die Galeristin Esther Schipper heißt, weiß man: Mit vordergründig dekorativen Qualitäten kann es hier nicht getan sein. Schippers Künstler sind verkopfte Idiosynkraten allesamt und Matti Braun ihr archetypischer Repräsentant. Und die bunten Glaskugeln Form gewordene, hochkomplexe, assoziationsreiche, hyperreferentielle Gedankengebäude – die einzusehen ohne Hilfestellung kaum möglich ist.

Man braucht schon den Ausstellungstext, um zu verstehen, dass es hier um „die Auseinandersetzung des Künstlers mit indischer und bengalischer Science Fiction“ geht: „Die lichtdurchlässigen Glasobjekte erinnern an Augen, insbesondere an die hervorstehenden „Bug-eyes“, die in populären Darstellungen der übertriebenen Physiognomie außerirdischer Wesen zu finden sind.“ Eine Glasarbeit wurde in Brauns Inszenierung des Theaterstücks „The Alien“ (basierend auf dem nicht realisierten Filmprojekt von Satyajit Ray, das Steven Spielbergs Film E.T. inspiriert haben soll) als Requisite verwendet.

Hyperreferentialität in ihrem freien Lauf

Seine extensive Reisetätigkeit hat Braun an viele Orte geführt, aber immer wieder nach Indien, wo ihn kunsthandwerkliche Techniken wie Batik interessierten, die er sich gleich selbst angeeignet hat. Jahrelange Verfeinerung der Methode bei gleichzeitiger Vereinfachung des Ergebnisses mündeten in Seidenarbeiten mit nahtlosen Farbabstufungen. Damit dürfte nun Schluss sein: Die neue, 16-teilige Werkgruppe – die neben den Glasarbeiten zweite in der Ausstellung – soll die letzte von Brauns Seidenarbeiten sein. In vielleicht sogar mehr als fifty shades of grey sind die Farbverläufe nun auf ein schwarz-weißes Farbspektrum konzentriert. Was, als Endpunkt nur evident erscheint.

„Gleichzeitig verweist die Graustufe dieser neuen Serie von Seidenbildern auch indirekt auf Brauns Interesse am Beton“, informiert der Ausstellungstext, der auch daran erinnert, dass die Glasarbeiten letztlich aus Sand bestehen. Sand, mit dem er die Galerie gefüllt hatte und durch den Besucher sich wühlen mussten, war auch die Attraktion von Brauns voriger Ausstellung 2014 bei Esther Schipper. Der für Galerien inzwischen obligatorische Estrich auf dem Boden besteht natürlich auch im Wesentlichen aus Sand, noch dazu ist er grau.

Und dort, gewissermaßen auf dem grauen Boden, der das Herz eines jeden Beton-Interessierten erfreut, liegt dann auch die Gefahr, die mit der Hyperreferentialität in ihrem freien Lauf, mit der schier grenzenlosen Vieldeutigkeit – der Ausstellungstext sagt: „Polysemie“ – einhergeht. Es ist ein schmaler Grat, und im Abgrund lauern Beliebigkeit, Banalität und unfreiwillige Selbstparodie.

Interpretations-Kaskaden und Referenzen-Mikado

Oder ist es vielmehr genau umgekehrt, und die Interpretations-Kaskaden des Matti Braun führen sich gar mutwillig selbst ad absurdum. Sein Referenzen-Mikado soll am Ende nur darauf verweisen: auf die Unfähigkeit bloßer Objekte, die Bedeutungen, die wir (und allen voran: Matti Braun) ihnen aufbürden, zu tragen? So oder so und was immer der Künstler uns damit sagen will: Es schadet nicht und ist der Verkäuflichkeit der Kunstobjekte gewiss nur zuträglich, wenn sie so ästhetisch und kunsthandwerklich anspruchsvoll gestaltet sind wie Brauns Seiden- und Glasarbeiten.

Ihre polysemischen Qualitäten machen es auch möglich, die innen hohlen Glasobjekt umzudrehen und ihnen, etwa mithilfe eines Gummirings, einen festen Stand zu verschaffen. Dann ein bisschen Wasser rein und ein paar Tulpen. Dass es Kunst ist, schließt ja nicht aus, dass es auch als Deko funktioniert.

Jens Müller

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