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Kultur: Galerie HO: Das Leben ist eine Tapete

Das Tapetensystem, das der Ausstellung den Namen gab, ist nicht nur Thema, sondern auch Methode: Nachdem das Haus Europa nach 1989 im Osten "renoviert" wurde, fanden sich - ebenfalls im übertragenen Sinne - in jeder Wohnung die Palimpseste alter Tapeten. Die Berliner Künstlerin Ute Weiss-Leder hat versucht, die menschlichen Folgen der politischen Wende in der DDR in einer Archäologie der Tapetenmuster als Geschichte lesbar zu machen.

Das Tapetensystem, das der Ausstellung den Namen gab, ist nicht nur Thema, sondern auch Methode: Nachdem das Haus Europa nach 1989 im Osten "renoviert" wurde, fanden sich - ebenfalls im übertragenen Sinne - in jeder Wohnung die Palimpseste alter Tapeten. Die Berliner Künstlerin Ute Weiss-Leder hat versucht, die menschlichen Folgen der politischen Wende in der DDR in einer Archäologie der Tapetenmuster als Geschichte lesbar zu machen. Zum Beispiel beim Fall Rabich.

Der Name des Mannes ist bekannt, er selbst verschwand. 1994 entdeckte Ute Weiss-Leder in einem seit vier Jahren entmieteten Leipziger Haus die Wohnung des Parteigenossen und NVA-Soldaten Rabich. Der hatte offenbar kurz nach der Wende sein Domizil fluchtartig verlassen und den gesamten Hausstand zurückgelassen. Wer war dieser Rabich? Hier setzt Ute Weiss-Leders künstlerische Rekonstruktion ein. Auf sechs Bügelbrettern liegen die Versatzstücke eines Lebens: "Amiga"-Schallplatten von Chris Barber, Kinderquartettkarten "Lernt helfen", ein Teller des "VEB Schwermaschinenbaukombinats", ein Militärlexikon, das "Buch der Familie", selbst verfasste Gedichte und Liebesbriefe. Letztere hört man vorgelesen aus dem Off. Eine Diaprojektion liefert dazu Alltagsbilder der DDR.

Umstellt und eingefangen wird die Installation von "Tapeten" an den Galeriewänden, die Ute Weiss-Leder per Computer aus Wohnungsansichten rekonstruiert hat: Kachelofen, Stehlampe, Teppich, Fernseher. Heraus kommt ein optisch, akustisch und haptisch erfahrbares Ambiente, das allerdings die Leere nicht zu füllen vermag, die das mysteriöse Verschwinden hinterlassen hat. Doch scheint dies durchaus gewollt. Noch die dichteste Inszenierung vermag die Schalheit dieses plötzlich überflüssig gewordenen Lebens nicht zu kompensieren, das plötzlich auf all seine Relikte, Zeugnisse und materialisierten Erinnerungen einfach verzichten konnte.

In gewisser Weise funktioniert Ute Weiss-Leders autobiografische Arbeit "photo finish" genau umgekehrt. Die Künstlerin hat in Collagen ihre Kindheitserinnerungen an ein der Familie enteignetes Hotel im Thüringischen festgehalten, indem sie Fotos der freigelegten Tapetenschichten des nach der Wende ruinierten Gebäudes mit Aufnahmen aus dem Familienalbum kombinierte. Das Foto vermittelt Erinnerungen, während die politischen Verhältnisse die Spuren löschen - das Haus zerfällt. In der Spur der Tapeten aber hausen die Geschichten, mit denen die Erinnerungen korrespondieren.

Ohne die Zeugnisse der Geschichte keine Geschichten und keine Erinnerung. Vielleicht erhalten deshalb in ihrer "Partitur für einen Bläser und 20 Stimmen" die Wendeerfahrungen der Menschen eine Forum. Was war das Entscheidende beim Umbruch der Verhältnisse? Die Antworten im Videofilm verpuffen im Rhythmus von aufgeblasenen Sprechblasen, die Sätze in den zwanzig Leuchtkästen wirbeln die Lebensschicksale wie in einer Glückstrommel durcheinander. Niete und Gewinn liegen oft dicht beieinander. In den Aussagen der ehemaligen DDR-Bürger, alle Jahrgang 1960, setzt sich die politische Geschichte aus den Scherben von erzählten Erfahrungen zusammen. In Wendezeiten passten plötzlich Sein und Bewusstsein nicht mehr zusammen, wie man es gelernt hatte. Im O-Ton: "Da begann dann das wirkliche Nachdenken. Das hinderte mich natürlich nicht, weiter an die ganze Sache zu glauben".

Ronald Berg

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