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Kultur: Galerie Seitz & Partner: Kommen und gehen - Werke von Abraham David Christian

Was wäre der Strand ohne das Meer, das sich vor ihm weit und weiter, als das Auge reicht, erstreckt? Was wäre der Glockenschlag ohne die Stille zuvor?

Was wäre der Strand ohne das Meer, das sich vor ihm weit und weiter, als das Auge reicht, erstreckt? Was wäre der Glockenschlag ohne die Stille zuvor? Dem Raum und mehr noch der Zeit, die ein Ding aus der Masse von allem Existierenden herausheben, gilt die Aufmerksamkeit des Bildhauers Abraham David Christian. Seine Skulpturen gleichen Anfang und Ende einer meditativen Übung, den Raum zu dehnen und die Zeit zu strecken. Eine Skulptur empfängt den Besucher im ersten Raum. Gegen die Leere davor behauptet sich ihr schmaler, konischer Körper aus Papier, dessen Wölbung nach außen nur im Zentrum von einer Wölbung nach innen unterbrochen wird. Einatmen, ausatmen. Je länger man die weiß bemalten Flächen anschaut, desto mehr beleben sich ihre übereinandergelegten Farblasuren. Das Weiß des Nichts beginnt allmählich Bewegung, Tiefe und Geschichte zu umfassen. Christian lebt mit seinen Skulpturen. Besonders die Papierformen, die den Ausführungen in Bronze oft vorausgehen, behält er so lange wie möglich für sich selbst. Er betrachtet seine Arbeiten als "Werkzeuge der Selbstfindung" und "Vorbereitung zum Loslassen".

Auf einer kleinen Konsole steht eine seiner Pagoden, aus vier, fünf Stufen zusammengesetzt, die sich verbreitern und wieder verjüngen, verbreitern und verjüngen. Die Wiederholung der Formen verleiht dem Werk des Bildhauers einen Zug von ritueller Strenge. Sie vermitteln zwischen dem menschlichen Maß, in dem ein anthropomorpher Rest von Figur aufscheint, und der Umwelt. Ähnlich fast wie das Kreuz, das nicht nur in der christlichen Symbolik für die Begegnung zwischen der horizontalen Ordnung der Menschen untereinander und der hierarchischen zwischen Gott und den Menschen steht, werden sie zu allumfassenden Chiffren. Nur dass sie sich in ihren weißen Reduktionen möglichst weit entfernt von konkreten Besetzungen durch Religionen und Ideologien halten. Vielleicht sollte man sie eher als Eingeständnis lesen, die Aura des Heiligen zu vermissen und zu suchen, denn als Behauptung und Bekenntnis.

Neben den Skulpturen zeigt der Künstler Zeichnungen. Auch sie verweisen auf eine Welt der einfachen Dinge wie Blüten, Behältnisse und Äste. Sie entstehen oft auf Reisen, als nächtliche Ausbeute der Erinnerung. Diese Zuordnung zu einem Rhythmus von Welterkunden und dem Verarbeiten von Erfahrung hat etwas von einer selbst auferlegter Disziplin. Der Bildhauer, der schon Anfang der siebziger Jahre mit knapp zwanzig durch seine Teilnahme an der documenta 5 bekannt wurde, versucht vom Produktionsdruck des Kunstbetriebs Abstand zu halten durch einen eigenen Zeittakt. In Berlin stellt die Galerie Seitz & Partner Christian, dem im Lehmbruck-Museum Duisburg gerade eine Retrospektive galt, das erste Mal vor.

Katrin Bettina Müller

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