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Kultur: Garantiert wasserdicht

Keine Experimente, sondern bitte das Stück: „Die Zauberflöte“ beim Festival in Aix-en-Provence

Stéphane Lissner ist ein schwer beschäftigter Mann. Abends sieht man den alerten Franzosen über Akten der Wiener Festwochen brüten, deren Musikprogrammm-Chef er ist. Nachts macht er neben Eva Wagner-Pasquier als Festivalleiter in den Premieren von Aix die Honeurs. Und wenn er tagsüber Italienisch spricht, was inzwischen ganz gut geht, dann fällt möglicherweise gerade eine Entscheidung über die Zukunft der Mailänder Scala, der er seit einem Jahr als Intendant vorsteht. Die Verpflichtung Daniel Barenboims für zwei Produktionen pro Saison, die künstlerische Kooperation der Scala mit der Berliner Lindenoper – das war nur der jüngste Lissnersche Coup. Der Mann managt Europas Musik. Und er macht das so, dass man ihm (fast) nie böse sein kann.

Zu Lissners vornehmsten Aufgaben für das Jahr 2006 gehörte eine neue „Zauberflöte“. Eine „Zauberflöte“, die sich der „Zauberflöten“-Mutterstadt Wien im Mozartjahr als würdig erweisen würde (was immer das heißt) – und die sowohl in Aix-en-Provence als auch in Luxemburg, der dritten Station, goutiert werden würde. Die Lösung lag auf der Hand und lautete: keine Experimente, sondern bitte das Stück. Regisseur Krystian Lupa verstand sofort, was mit diesem Theaterspruch gemeint war. Ein lustiges Vogelkleid für Papageno, eine Flöte für Tamino, die Königin der Nacht im Strahlenkranz, Sarastros Priester in mönchischer Kutte, Monostatos als quirliger Sarotti-Mohr, rund herum ein bisschen rasselnde Theatermaschinerie und Budenzauber – und fertig ist der vakuumverpackte „Zauberflöten“-Eintopf. Den Wienern, so hört und liest man, hat er gar nicht gemundet.

Zunächst ist das nicht weiter schlimm. An einer klischeebeladenen, handwerklich mittelprächtigen Inszenierung mehr oder weniger wird weder das Theater des Abendlandes zugrunde gehen, noch wird ausgerechnet die „Zauberflöte“ ihre legendären Immunkräfte einbüßen. Ein Stück, das August Everdings SchinkelAdaptionen ebenso wegsteckt wie Peter Konwitschnys Erkenntnis, dass Mozarts Musik sich hier permanent selbst dekonstruiert – ein solches Stück hält einiges aus. Die Frage hinter aller ach so schmerzfreien Konventionalität ist freilich, ob ein derart entfremdetes, auf Tourneetauglichkeit zugeschnittenes Produzieren von Musiktheater auf Dauer nicht Unheil anrichtet. Wirtschaftlich mag es vernünftig sein, dass drei Institutionen sich diese „Zauberflöte“ teilen; auch hört gerade das Luxemburger Publikum gewiss nicht jeden Tag einen Tamino wie Pavol Breslik. Ästhetisch aber bedeutet es vorprogrammierte Austauschbarkeit, das Vergessenmüssen jeder differenzierteren Lesartlichkeit, kurz: den garantiert wasserdichten Euro-Klon. Man kann nur hoffen, dass Stéphane Lissner sich dieser Folgen bewusst ist.

Der Musik hingegen dürfte es vergleichsweise egal sein, wo sie spielt. Ob das Mahler Chamber Orchestra nun im Graben des Theaters an der Wien sitzt oder in dem des Théâtre de l’Archevèché, hat nur insofern Konsequenzen, als die Stimmung der Instrumente bei sanften Mistralwinden von weit über 20 Grad naturgemäß leidet. Aber es sind nicht die Eintrübungen in der Intonation, die einen unterm provenzalischen Firmament den Glauben an Mozart fast verlieren lassen. Es ist auch nicht die tückische Outdoor-Akustik, die so manches verweht und verschluckt – es ist der Dirigent. Was der hoch gepriesene, viel begehrte Daniel Harding hier veranstaltet, grenzt an eine Karikatur seiner selbst. Da wird mit dünnen Ärmchen nach Kräften gerudert und gewedelt, gefuchtelt und gepumpt. Ein dreieinhalbstündiger kapellmeisterlicher Karatekampf, ein Hochamt der rhetorischen Selbstverliebtheiten.

Nun würde man sich an derlei Äußerlichkeiten wenig stören, wenn das Ganze nicht tönte, als wäre das Orchester tatsächlich in Wien geblieben oder bereits gen Luxemburg enteilt: dürftig, dürr, unterleibslos. Verbeulte Akkorde, bedeutungsschwanger sich dahin schleppende Tempi, gähnende Generalpausen, viel Sechzehntel-Gehechel und kein Klang, nirgends. Als hielte man sein Hörrohr versehentlich verkehrt herum in Richtung Mozart.

Die Sänger hingegen singen, wie ihnen die Schnäbel respektive Kehlen gewachsen sind. Pavol Breslik gibt einen emphatisch timbrierten, belcantistischen Tamino – ja, man denkt durchaus an den jungen Wunderlich! Adrian Eröd tritt auf als wienerisch schwadronierender Papageno, Günther Groissböck als steif sich blähender Sarastro, Helena Juntunen als reife Pamina und Lubica Vargicová als zwitschrig-soubrettige Königin der Nacht.

Überhaupt verströmt dieses Ensemble (von Olaf Bär als Sprecher und zweitem Priester einmal abgesehen) den Charme eines engagierten Musik-Leistungskurses, was seiner Jugendlichkeit weit weniger anzulasten ist als den vielen szenischen Ungeschicklichkeiten. Daran vermag auch der sanft säuselnde Arnold Schönberg Chor nichts zu ändern. Am Ende ist es weit nach Mitternacht. Erschöpfter Applaus, ein paar Buhs für Harding, rascher Aufbruch. Und jetzt Hunger auf ein großes Eis mit Sahne.

Christine Lemke-Matwey

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