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Kultur: Gärstoff Glaube

Schweine, Kreuze, Flötenspieler: Im Kunstraum Kreuzberg beschäftigen sich Künstler mit Religion.

Die Reise nach Jerusalem führt nach Niedersachsen. Der israelische Künstler Benyamin Reich folgt den Christusdarstellungen von Berlin bis in die kleine Gemeinde Jerusalem im Landkreis Verden. Benyamin Reich wurde 1967 in Bney Brak geboren und wuchs unter ultra-orthodoxen Juden auf. In seinen Fotos interessiert er sich für das Männerbild, das die religiöse Ikonografie subkutan transportiert.

Zwei Leuchtkästen heben den hageren Körper Christi mit dem Leintuch um die Hüften hervor, wie er in jeder Kreuzigungsszene dargestellt wird. Provozierend interpretiert Benyamin Reich den Mythos vom leidenden Gottessohn als faszinierten Blick auf dessen Körper. Dem grausamen Märtyrerbild stellt er die Porträts empfindsamer junger Männer entgegen, die er auf seiner Reise nach Jerusalem getroffen hat. Einer spielt Flöte in einem leeren Hallenbad.

In den Fotos von Benyamin Reich geht das Konzept dieser Ausstellung auf. Der Kurator Stéphane Bauer versammelt zehn Künstler, die in Berlin leben und arbeiten und sich in ihren Werken mit den drei monotheistischen Religionen auseinander setzen. Erhellend wird der Rundgang immer dann, wenn die Künstler Distanz halten und die Wirkungsmechanismen der Religionen analysieren.

Gewohnt souverän setzt sich Nezaket Ekici, 1970 in der Türkei geboren, über die Grenzen der Fremdbestimmung hinweg. Ihre islamisch-christliche Kapelle wirkt so harmonisch, dass man sie gerne sofort in Jerusalem sehen würde. Auf dem Giebel befindet sich ein einfaches Kreuz, aus den Stoffwänden sind Sprüche aus dem Koran ausgeschnitten, die Schatten auf die umliegenden Mauern werfen. Die Künstlerin hat alles Auftrumpfende aus dieser Feldkirche gebannt. Im Dezember, zu Weihnachten, wird die Ausstellung im Jerusalemer Artists’ House in Israel zu sehen sein. Dort fällt die Reaktion hoffentlich ähnlich positiv aus wie im toleranten Kreuzberg.

Mit dem Fotodiptychon „My Pig“ von 2004 reklamiert Nezaket Ekici frech ein Stück vom Glück. Eine Frau in schwarzem Tschador führt ein rosiges Schweinchen an der roten Leine aus. Im Islam und im Judentum gilt das Schwein als unrein, aber das heidnische Maskottchen fühlt sich sauwohl in den Armen seiner Besitzerin. Es bildet den sinnlich-wüsten Gegenpol zur züchtigen Kleidung. In solchen Fällen gelingt der Kunst die schelmenhafte Konfrontation mit der Religion.

Sobald die Werke aber zu dicht mit dem religiösen Untergrund verwurzelt sind, von dem sie sich absetzen wollen, reproduzieren sie allenfalls Stolz und Schuldgefühle. Trudy Dahan, 1985 in Israel geboren, erzählt in ihrem Video die Geschichte der schönen Lala Joulika, die sich lieber von einem Pferd durch die Straßen schleifen lässt als zum Islam zu konvertieren.

Zohar Freiman malt in abgedunkelten, verhuschten Bildern das Schweigen über häusliche Gewalt und Unterdrückung. Gänzlich ungeschickt bilden die blutrünstigen Bilder von Rabi Georges das Gewaltpathos ab, das religiösen Überlieferungen oftmals innewohnt. Hier fehlt der Kunst die Kraft der Verwandlung. Doch auch wenn das Ergebnis nicht immer befriedigend ausfällt. Die Ausstellung weckt intelligent die Aufmerksamkeit für den langwierigen Gärungsprozess, den religiöse Traditionen auslösen. Simone Reber

Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Mariannenplatz 2, bis 19. August; tägl. 12-19 Uhr

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