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Überall Schilf. Ist das nun Festland oder doch eine Lagune der Leidenschaften? Konstantin Bühler als Amor (l.) und Rupert Enticknap als Giove in Ingo Kerkhofs Inszenierung von Agostino Steffanis lange verschollener Oper "Amor vien dal destino".

© imago/DRAMA-Berlin.de

Barockoper von Agostino Steffani: Gärtner aus Liebe

René Jacobs gräbt an der Staatsoper im Schiller Theater Agostino Steffanis Barockoper „Amor vien dal destino“ aus. Die Inszenierung von Ingo Kerkhof lebt von zarter Anteilnahme an den Figuren.

Endlich dürfen die quälenden Irrfahrten zu einem Ende kommen, soll wieder fester Boden unter seinen Füßen sein. Seit der Flucht aus dem zerstörten Troja musste Enea ihn entbehren, nun verheißt der unter Mühen gefasste Beschluss der Götter gar die Stammhalterschaft eines großen Volkes. Eine Perspektive, die auf allgemeine Befriedung, nicht aber auf persönliche Befriedigung zielt. Der Pfeilschuss des kindlichen Amors verkommt dabei zur bloßen Dienstleistung im Auftrag der Herrschenden. Doch die Sturheit der Menschen, die um so etwas wie ihren Stolz ringen, lässt manchen schönen Himmelsplan beinahe zu Schanden kommen.

Agostino Steffanis Oper „Amor vien dal destino“ („Die Liebe kommt vom Schicksal“, René Jacobs’ diesjährige Barock-Produktion an der Staatsoper, variiert Vergils historischen Aeneas-Stoff mit erkennbarer Offenheit für den menschlichen Makel. Uraufgeführt 1709 in Düsseldorf, verschwand das Werk danach wohl komplett in den Archiven. Jetzt ersteht die Oper aus den Manuskripten neu: Becirct von Cecilia Bartolis Steffani-Ausgrabungen auf ihrem Album „Mission“, gab Staatsopern-Intendant Jürgen Flimm grünes Licht für einen Komponisten, der in einem Faltenwurf der Musikgeschichte verschwunden war. Nur in den Werken seines Bewunderers Händel hatten viele Ideen Steffanis unerkannt überlebt.

War Steffani ein Kastrat? Seine Musik verrät es nicht

Dessen rätselhaftes Leben im Spannungsfeld von Kunst, Glauben und Macht animierte gar Krimikönigin Donna Leon zu einem Roman („Himmlische Juwelen“) über die Hinterlassenschaften des 1654 in Castelfranco Veneto geborenen Komponisten. Als Knabensopran betrat Steffani die Bühne der venezianischen Oper und ging als „musico“ zunächst an den Münchner Hof. Dieser Begriff bezeichnete die durch einen kleinen Eingriff veränderte Körperlichkeit des Interpreten. Das einzige überlieferte Porträt wird später allerdings einen aufgedunsenen Mann mit traurigen Augen zeigen. War Steffani, der es neben seiner Laufbahn als Komponist zum hohen geistlichen Würdenträger, Botschafter und Spion brachte, ein Kastrat? Seine Musik, die italienische, französische und deutsche Elemente in feinster Kunstdiplomatie ineinanderflicht, gibt keine Auskunft darüber.

Typisch barock: Die Liebenden sind mit Blindheit geschlagen

Das Sujet von „Amor vien dal destino“ allerdings mag auch als Reflexion auf seine gescheiterte Rolle als Heiratsvermittler gesehen werden, eine der vornehmsten diplomatischen Missionen an den sich absolutistisch aufplusternden Höfen in Deutschland, die Steffani beschäftigten – und denen seine Opernproduktion galt. Mit schier unfassbarer Blindheit geschlagen, gelingt es Enea und Lavinia über mehrere Stunden Spieldauer nicht, einander in die Arme zu sinken, obwohl ihnen auf göttlichen Wink das Bild des jeweils geliebten anderen im Traum erschienen ist. Flucht und Kriegstrauma haben Eneas Urteilsvermögen sichtlich geschwächt, seinen Griff nach dem Schwert hingegen nicht gehemmt. Lavinia wiederum will den Vater Latino pflichtbewusst durch die versprochene Heirat mit Turno retten, gibt diesem aber zu verstehen, dass er zwar ihren Körper, aber nie ihr Herz besitzen werde. Eine Provokation, die den heißblütigen Turno ebenfalls zum Schwert drängt.

Und Action! Szene aus Ingo Kerkhofs Inszenierung von "Amor vien dal destino" mit Robin Johannsen (als Giuturna), Olivia Vermeulen (als Turno), Konstantin Bühler (als Amor), Jeremy Ovenden (als Enea) und Gyula Orendt (als Corebo, hinten).
Und Action! Szene aus Ingo Kerkhofs Inszenierung von "Amor vien dal destino" mit Robin Johannsen (als Giuturna), Olivia Vermeulen (als Turno), Konstantin Bühler (als Amor), Jeremy Ovenden (als Enea) und Gyula Orendt (als Corebo, hinten).

© imago/DRAMA-Berlin.de

Da in der Barockoper mit ihrem verordneten lieto fine der glückliche Ausgang nicht infrage steht, sind meist gerade die verschlungenen Wege dorthin von besonderem Reiz. An der Staatsoper führen sie durch einen Schilfgürtel, den ein stumm vor sich hin gärtnernder Amor (als hoch aufgeschossener, melancholischer Kollege von Shakespeares Puck: Konstantin Bühler) in den Bühnenboden pflanzt. Das Röhricht greift immer mehr um sich, so- dass Enea sich fragen müsste, ob dies tatsächlich terra ferma ist oder doch eher eine Lagune der Leidenschaften. Regisseur Ingo Kerkhof dirigiert seine hilflosen Figuren mit zarter Anteilnahme durchs zuwachsende Labyrinth, ohne das barocke Spiel durch forcierte Gegenwartsbezüge in die Binsen gehen zu lassen. Stattdessen greift man zu immer größeren Perücken, doch der Mensch darunter erscheint immer nackter – ein kleiner Wink, dass die Aufklärung schon vor der Tür steht. Und vielerorts noch immer auf Einlass wartet.

Sopran-Kastratenrolle, Contralto: Steffani wählte ungewöhnliche Stimmlagen

Man muss René Jacobs dankbar dafür sein, mit heutigem Theatergespür an Steffanis Partitur heranzugehen und in den 116 Nummern von „Amor vien dal destino“ auch ein paar Striche zu setzen. So bleiben noch mehr als drei Stunden reine Musik übrig, in deren sanften Tonfall sich einzuhören lohnt. Er klingt weniger brillant und pointiert als bei Händel, hält aber erstaunlich feine Klangmischungen bereit. Die Akademie für Alte Musik musiziert sie unter ihrem langjährigen Partner Jacobs mit unangestrengter Finesse. Und dann ist da die Besetzung, mit Stimmlagen, wie es sie heute gar nicht mehr gibt: Wie die Mezzosopranistin Olivia Vermeulen sich die ehemalige Sopran-Kastraten-Rolle des Turno in Furor und finaler Demut erobert, wird zu einer funkelnden Opern-Sternstunde.

Steffanis feine Erweiterungen der vokalen Phantasie weisen auch Lavinia eine besondere Tonlage zu: Die Partie der jungen Frau, die vor Eifersucht auf den Widerschein ihres eigenen Bildes vergeht, ist für einen Contralto notiert. Das ist zu tief für die Mezzosopranistin Katarina Bradic, nimmt ihrer Stimme trotz zweier transponierter Arien in den Rezitativen etwas an Farbe. Erstaunlicherweise aber passt diese musikalische Charakterisierung gut zu der Rolle. Gleiches gilt für Enea, dem Jeremy Ovenden einen leicht ansprechenden, aber auch leicht beschränkten Tenor schenkt. Robin Johannsen, in einer himmlisch-irdischen Doppelrolle, hat die schmelzende Sopranmacht, alles und jeden zu versöhnen. Auch Marcos Fink als Latino, Mark Milhofer und Gyula Orendt als entfesseltes Dienerpaar und Rupert Enticknap als Giove machen ihre Sache mehr als gut.

Dass seine Noten so stark in heutigen Kehlen erblühen, ist ein später Triumph für Agostino Steffani – und für seinen neugierigen Erforscher René Jacobs.

Weitere Aufführungen am 27. und 30. April sowie am 4. und 7. Mai

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