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Birdwatcher. Der Dichter und Erzähler Gerhard Falkner.

© Alexander Paul Englert

Gedichte von Gerhard Falkner: Libellen auf dem Flugfeld

Zwischen Moor und Maustaste: Gerhard Falkner belebt mit seinem „Schorfheide“-Zyklus das Naturgedicht wieder.

Einen Preis für das schillerndste Bonmot der lyrischen Saison kann man dem neuen Gedichtband Gerhard Falkners bereits jetzt zusprechen: „Ich bin ein Schwein aus der Herde Epikurs“: Was hier im Eingangsvers eines „Schorfheide“-Gedichts aufgerufen wird, zitiert nicht nur eine listige Selbstbeschreibung des großen Römers Horaz, sondern öffnet gleich das Feld für jene kunstvollen Diskursmischungen, die Falkner in seinen Gedichten ostentativ zelebriert.

Seit seinem phänomenalen Debüt „so beginnen am körper die tage“ (1981) ist dieser Dichter ein begnadeter Abrissarbeiter an den alten Nomenklaturen der Lyrik-Tradition und ein Virtuose in der Verknüpfung antiker und moderner Metaphoriken. Was verbindet nun die lässige Selbstpositionierung des Horaz mit der Poetik Falkners? Ein ausgeprägter Hedonismus beim Zugriff auf die poetische und philosophische Tradition – und die Entschlossenheit, sich „aus dem Gefängnis der üblen Geschäfte und der Politik zu befreien“, wie es in den „Hauptlehrsätzen“ Epikurs einmal heißt.

Dichter im digitalen Zeitalter

Im vorangegangenen Gedichtbuch „Ignatien“, den „Elegien am Rande eines Nervenzusammenbruchs“ (2014), hatte der Dichter das Subjekt im digitalen Zeitalter besungen, dessen Wahrnehmungsfähigkeit unter den Imperativen des reinen Online-Daseins verkümmert ist. „Unsere Herzen schlagen für die Hologramme“, heißt es dort in jener sentenzenhaften Zuspitzung, die für diesen Autor charakteristisch ist. Der „Schorfheide“-Band entwirft nun eine Gegenwelt zu den Prozeduren des Online-Daseins – im beherzten Zugriff auf das neben der Liebe älteste Territorium der Lyrik: das Naturgedicht.

Am Ausgangspunkt steht hierbei die Beobachtung, dass die Dichter im digitalen Zeitalter „nicht mehr zwischen einer Hecke und einem Drahtzaun unterscheiden können“ und stattdessen in jeder freien Minute unentwegt auf ein Handy oder ein anderes Display starren. Und auch frühere Branchengrößen wie Brecht werden der botanischen Unkenntnis geziehen: „In der Frühe / sind die Tannen kupfern / schrieb Brecht / in den Buckower Elegien / Er meinte natürlich die Kiefern / denn die Tannen werden nicht kupfern …“

Dagegen setzt Falkner nun die emphatische Verknüpfung des Naturschönen mit den Fachsprachen der Linguistik, der Informationstheorie und der Gewässerkunde. In den 80 Gedichten des Bandes durchquert er dabei historisches Terrain: von den „Stauchmoränen / bei Falkenberg“ bis zu den „Metonymien zu Melzow“. Der naturhistorische Stoffgrund dieser Gedichte ist nämlich die Schorfheide. Falkner macht sich auf zu den großen, von Seen, Mooren und Feuchtbiotopen durchzogenen Waldgebieten im nördlichen Brandenburg, die einst als Jagdrevier dem preußischen Königshaus und zuletzt der politischen Elite der DDR vorbehalten waren. Eine Landschaft, die heute zum bevorzugten Ausflugsziel und Fluchtort der von Berlin Erschöpften geworden ist.

Poetische Topografie

Falkners Stichwortgeber bei seiner Suche nach neuen Formen der poetischen Topografie dieser Landschaften sind Friedrich Schlegels romantische Naturphilosophie und Paul Celans „Meridian“-Rede. So entstehen aufregende, zwischen Naturmagie, Geschichtsreflexion und kühlem Fachsprachenvokabular oszillierende Gedichte „unterm Freilichthimmel“ und „ohne Netzabdeckung“. Das eklektizistische Spiel mit „postmodernem Wissen“ soll, so deutet es der Autor in seinem „Schlusswort“ an, hier nur noch eine Nebenrolle spielen: „Als wir das andere Ufer erreichen, gelingen uns endlich / Schritte durch einen fußnotenfreien Raum“.

Die Tonlagen und Melodien, die im „Schorfheide“-Zyklus angeschlagen werden, schwanken indes heftig. Es gibt ironisch ausgekühlte Gedichte, die sich auf die Ernüchterung des naturpoetischen Grundwortschatzes konzentrieren und den Crash zwischen wissenschaftlicher Begrifflichkeit und den Topoi romantischer Naturpoesie vorsätzlich herbeiführen: „Die Glut der Sonne / verlötet meine DNA / mit den Rotlichtspuren blühenden Mooses“. Das mit dem bereits erwähnten Horaz-Zitat kokettierende Gedicht verschmilzt zum Beispiel den Naturstoff mit den Termini des Linguisten Ferdinand de Saussure: „Gelegentlich hilft die rechte Maustaste gegen / das schlechte Gewissen, nichts zu teilen von dem / was sich in mir an Höhepunkten stapelt: / Heidekoller, Eichelmast, langue et parole / Start und Landung signifikanter Libellen / bei extremer Stadthitze im Hinterkopf“.

Die Müdigkeit der Metapher

Es finden sich aber auch ganz wagemutig pathetische Gedichte, die vom ironischen Spiel mit den disparaten Zeichensystemen gänzlich absehen und stattdessen eine Ästhetik des Erhabenen wieder ins Recht setzen. Da hat der Autor den Habitus des geschmeidigen Hedonisten vollständig abgestreift und kultiviert unversehens einen sehr hohen Ton in leicht trochäisch und daktylisch dahinfließenden Versen: „Tauchgang der Kormorane, die Entrückung / ein Taumel durch blass getünchtes Gelände / noch kein Blau, nur müde, weiße Hände / doch im Auge arbeitet bereits die Verzückung // Die Ackerdisteln sinken hin, der Mohn verglüht / im Überschwang die Augen, die sich überschlagen / dir vermache ich alles, was so schwer mich verlässt / mir überlasse ich nichts und, wenn auch das zu Ende, den Rest“.

Hier ist man nun plötzlich mit einer Bildwelt konfrontiert, die man eher bei Rilkes „Duineser Elegien“ oder dem ästhetischen Fundamentalismus Stefan Georges vermuten würde. Seine kühne These im „Schlusswort“ des „Schorfheide“-Bandes, die traditionelle Metapher sei heute „ermüdet und verglüht wie eine ausgeräumte und verglühte Landschaft“, hat Gerhard Falkner mit seinem Rückgriff auf sehr alte Kunstmittel eindrucksvoll widerlegt.

Gerhard Falkner: Schorfheide. Gedichte en plein air. Berlin Verlag 2019. 128 Seiten, 22 €.

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