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Der Erzähler und Dichter Mirko Bonné, geboren 1965 in Tegernsee.

© Bogenberger/autorenfotos.com

Gedichte von Mirko Bonné: Der Poet und sein Vogel

„Wimpern und Asche“: Mirko Bonné präsentiert sich in seinem neuen Gedichtband als Enthusiast der Vogelflugdeutung.

Die Entzifferung der Vogelschrift gehört zu den ältesten Passionen der Dichter. In der römischen Antike war es die Aufgabe des Auspex, aus dem Geschrei und dem Flug der Vögel den Götterwillen zu lesen. In der lyrischen Moderne sind es die naturmagisch gestimmten Poeten, die im Vogelflug ein Zeichen für die brüchig gewordene Seinsordnung erkennen.

Der als Erzähler wie Lyriker gleichermaßen präsente Mirko Bonné präsentiert sich in seinem neuen Gedichtband „Wimpern und Asche“ als großer Enthusiast der Vogelflugdeutung. Laufvögel wie der flugunfähige Nandu sind ihm genauso nahe wie die „Stare im Mohn“ oder seine Wappentiere, die Krähe und die Dohle. Das Gedicht „Einhelligkeit mit Dohlen“ evoziert einen fast mystischen Offenbarungsaugenblick zwischen Mensch und Tier. Es ist die Beschreibung eines anderen Zustands, eine „Innigkeit so mit Dohlen“, die auf zwei Liebende zurückstrahlt, als könne die versiegelte Welt für einen Moment aufgebrochen werden, als ein Vorschein des Glücks.

Poem über Plastikmüll in den Ozeanen

An gleich zwei zentralen Stellen konstruiert Bonné eine rein lautliche, wortmagische Nähe zwischen einem Poeten und seinem Vogel. „Die Fasane bei Gryphius“, die in gleich zwei Gedichten aufgerufen werden, fungieren als Chiffre einer Verbindung zwischen Schönheit und Vergänglichkeit. In Bonnés 2017 erschienenen Roman „Lichter als der Tag“ formulierten Gryphius-Verse die Grundmelodie eines heillosen Lebens: „Ach, was ist alles dies, was wir für köstlich achten, / Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind.“ Wenn nun „die Fasane bei Gryphius“ beschworen werden, dann als Hoffnungszeichen für eine Daseinsempfindung, in dem das Ich „ganz von heller Welt umgeben“ ist, wie es im Gedicht „Grüne Kräne“ heißt.

Das Motto des Gedichtbands zitiert eine Zeile des 2006 verstorbenen Dichters Christian Saalberg, die als Grundbewegung in Bonnés Versen wiederkehrt: „Das Nein entfernt sich und das Ja kommt näher.“ Die Daseinsbejahung, die sich im Parlando der meditativen, naturenthusiastischen Gedichte manifestiert, findet einen harten Kontrapunkt im zentralen Gedichtzyklus „Wimpern und Asche“. Die beiden Grundworte einer sprachmagischen Dichtung sind hier keine Metaphern zur Wiederverzauberung der Welt, sondern annoncieren deren Verwüstung. Denn das Poem spricht von der Verheerung der Meere durch gigantische Mengen von Plastik- und Kunststoff-Müll, die als winzige Partikel in alle Naturstoffe eindringen: „Ich blicke übers Meer, / streue Wimpern, streue Asche, zähle, ich / zähle, was nicht da ist, zusammen. / So wird er oder sie singen, / hintreibend über einen / Atlantik aus Plastik.“ Und gegen die Helligkeit, die ansonsten in Bonnés Poesie der emphatischen Selbstvergewisserung aufleuchtet, triumphiert hier die Dystopie: „die Welt wird schwarz“.

Mirko Bonné: Wimpern und Asche. Gedichte. Schöffling & Co, Frankfurt a. M. 2018. 148 Seiten, 22 €.

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