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Normalität und Irrsinn, mit dieser Mischung kennt sich die amerikanische Schriftstellerin Lauren Groff aus.

© K. Kozelsky/Hanser

Gefeierte US-Autorin: Lauren Groffs Kurzgeschichten sind auf Augenhöhe mit ihren Romanen

„Florida" versammelt elf brillant-unheimliche Erzählungen über grauenvolle Paarverhältnisse. Stephen King und Barack Obama sind erklärte Fans der Autorin.

Wer sich vor Schlangen, Alligatoren und Wildkatzen fürchtet, sollte Lauren Groffs Erzählungen besser meiden. Wer aber unheimliche Geschichten in schönster Lakonie mag und wendungsreiche Prosa über skurrile Paarbeziehungen schätzt, wird „Florida“ mit Gewinn lesen: Diese Prosa beeindruckt bis in einzelne Sätze hinein mit Überraschungsmomenten; und allein die präzise, zugleich erfindungsreiche Übersetzung von Stefanie Jacobs ist die Lektüre wert. Tatsächlich kann man schwer sagen, ob diese Literatur von Groff oder Jacobs stammt. Wahrscheinlich ist es eine kongeniale Kombination. Das Buch ist jedenfalls eine der besten Veröffentlichungen US-amerikanischer Werke, die zuletzt ins Deutsche übertragen worden sind.

„Die Mitternachtszone“ heißt eine Geschichte, in der ein Paar mit seinen beiden Kindern Urlaub in einer abgelegenen Jagdhütte in Floridas Wildnis macht, in der schon auch mal ein Puma herumstreunt. Der Mann muss aus beruflichen Gründen abreisen, die Frau möchte bleiben, obwohl sie im morastigen Nirgendwo keine Verbindung zur Außenwelt hat. Kein Internet, kein Handyempfang, keine Möglichkeit, nach Hause zu fahren. Was den Mann empört: „Er sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren, und fragte, wie ich mir das ohne Autor vorstellte. Ob er etwa glaube, er hätte eine völlig unfähige Frau geheiratet, entgegnete ich, was einen ziemlich wunden Punkt traf, denn unsere Probleme rührten daher, dass es tatsächlich so war.“

Groff beherrscht das Kurzformat wie die Langstrecke

So widerständig sich die Frauen bei Lauren Groff geben, sie wissen um ihre Schwächen, wobei derlei Eingeständnisse nicht dazu führen, dass fatale Entscheidungen rückgängig gemacht werden. Die Ich-Erzählerin bleibt im Wald und muss nicht nur mit den eigenen Ängsten zurechtkommen, sie trägt auch die Verantwortung für die Kinder. Die sorgenvolle Miene des rückkehrenden Mannes aber empfindet die passiv-chaotische Heldin als das „Schlimmste überhaupt“.

Lauren Groff, die 1978 im US-Staat New York geboren wurde und heute in Florida lebt, hat bislang drei Romane veröffentlicht. Sie alle bekamen euphorische Besprechungen in den USA. Stephen King lobte ihren ersten Roman „Die Monster von Templeton“, Groffs Bestseller „Licht und Zorn“ war für den National Book Award nominiert, und Barack Obama ernannte dieses Buch zu einem seiner Lieblingsbücher. So viel Lob kann belasten, die Kreativität stören, aber sowohl auf der literarischen Langstrecke als auch im Kurzformat überzeugt Groff.

Beziehungsalltag zwischen Normalität und Irrsinn

Die elf Geschichten in „Florida“ handeln von einem Beziehungsalltag, der von Normalität und Irrsinn gleichermaßen geprägt ist. Auf verhältnismäßig kleinem Raum, meistens rund 20 Seiten, entfaltet Groff grauenvolle Paarverhältnisse. Dabei besteht das Grauen auch in der Gewissheit, es könne stets noch schlimmer kommen. Die Figuren versuchen ihrem Alltagsmorast zu entfliehen, kommen aber meist nicht weit, landen wieder bei ihren privaten Unzulänglichkeiten.

Oft stören Reptilien ihr Zusammenleben symbolhaft, so in der Erzählung „In den imaginären Winkeln der runden Welt“. Sie handelt von einem manischen Herpetologen, der seine schwangere Frau unter anderem mit einem Albino-Alligator in der Badewanne schockt. Groffs Geschichten stellen stets die Frage, wer mehr zum Fürchten ist: die animalischen Menschen oder die häufig domestizierten Tiere aus Floridas Sumpfgebieten? Die Grenzen zwischen Wildnis und Zivilisation sind fließender, als es den meist weiblichen Protagonisten recht sein dürfte.

Die Übersetzung überzeugt in Rhythmus, Alliteration und Sprachklang

Übersetzerin Stefanie Jacobs kennt sich in dem sprachlichen und emotionalen Ökosystem von Lauren Groff gut aus. Vortrefflich hat sie die seltsam dunkel-helle Atmosphäre der Erzählungen ins Deutsche übertragen, und wenn es die prosapoetische Vorlage erfordert, erlaubt sie sich auch Freiheiten. In der Erzählung „Salvador“ heißt es etwa: „A dense, damp tangle. An Eden of dangerous things“. Um Rhythmus, Alliteration und Sprachklang zu übernehmen, übersetzt Jacobs: „Ein schwüles, dichtes Dickicht. Ein Garten Eden der Gefahren.“

Wie schwer unser Leben selbst auf paradiesischen Inseln ist, erfahren übrigens zwei Schwestern in „Wolf werden“ schmerzvoll, als ihre Eltern nicht von einer Bootstour zurückkommen. Die ältere Schwester rettet beide nicht zuletzt durch die Kunst des Erzählens, mit berührenden Geschichten aus der Vergangenheit und zauberhaften Märchen. Hoffen wir für Lauren Groff, dass nichts an diesen auch in ihrer Perfektion unheimlichen Short Storys autobiographisch grundiert ist.
Lauren Groff: Florida. Erzählungen. Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. Hanser Berlin, Berlin 2019, 285 Seiten, 22 €.

Carsten Otte

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