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Kultur: Gegengift

Bernsteins „A Quiet Place“, konzertant mit Kent Nagano.

Blickt man auf das Leben Leonard Bernsteins zurück, könnte man beinahe vergessen, dass auch dieser universell begabte, charismatische Künstler herbe Niederlagen einstecken musste. Sein letztes Musiktheater, die Oper „A Quiet Place“, erlebte bei den Premieren 1983/84 in Houston und Mailand nur wenig Zuspruch – und verschwand alsbald von den Spielplänen. Das lag sicher auch an der verschachtelten Struktur und dem massiven Klangapparat, der das Kammerspiel um eine dysfunktionale Familie nicht eben leichter zugänglich machte. Im Rahmen der „Hommage an Bernstein“ gibt es im Konzerthaus nun eine neue Chance für „A Quiet Place“. Kent Nagano, selbst Schüler Bernsteins, setzt sich am Pult des Ensemble Modern für eine Kammerfassung der Oper ein, die auch auf Zeitsprünge in der Handlung verzichtet.

Das Personal ist auffällig genug. Am Sarg von Mutter Dinah, die sich wohl das Leben nahm, kommt eine entfremdete Familie zusammen. Tochter Dede ist mit François verheiratet, der zugleich Liebhaber von Dedes psychisch auffälligem Bruder Junior ist. Vater Sam verkörpert den Typus gebrochene Autoritätsperson, wie sie die klassischen amerikanischen Dramen durchwandert. „What a fucked up family“, ist da durchaus treffend gesungen. Doch es steckt eine gute Dosis Bernstein’sches Gegengift in „A Quiet Place“: eine unbändige Sehnsucht nach Liebe, die Panzer aufbrechen lässt und – ja, mit ordentlichem Pathos, aber beständigem Swing – den Weg in den Garten öffnet, zu Trauer und Vergebung.

„Accept or die“, vor diese Wahl hat Dinah ihre Sippe im Abschiedsbrief gestellt. Bernstein hat viel Mitgefühl mit denen, die versuchen, sich und den anderen anzunehmen. Naganos dezente rhythmische Unerbittlichkeit lässt „A Quiet Place“ nie zur Kuschelwiese werden. Das Ensemble Modern jubiliert durch die ausgeleuchtete Partitur, die gesamte Besetzung ist fulminant bei der Sache. „Der Weg der Klarheit ist klar und sicher“, skandiert der Chor. Für Bernstein kann es nur der Weg des Herzens sein. Ulrich Amling

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