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Kultur: Geheimnis kostet doppelt Miller und Sixay

bei Mehdi Chouakri

Andy Warhol liebte das Geld: „Nehmen wir an, du wolltest ein Bild für zwanzigtausend Dollar kaufen. Ich meine, dass du das Geld an die Wand hängen solltest.“ Dabei hätte der große Alchemist Warhol, der alles Mögliche in Kunst und Kunst in Geld verwandelte, wissen müssen: Kunst ist mächtiger als Geld. Der Berliner Künstler Markus Sixay, Jahrgang 1974, erbringt den Beweis: Er klebt in der Galerie Mehdi Chouakri eine Hundertdollarnote an die Wand und bietet den Schein für tausend Dollar zum Verkauf. Und siehe: Das Ready-made wurde flugs umgesetzt.

„Hundred Dollars that costs thousand Dollars“ ist eine von neun Reflexionen zum vertrackten sprachanalytischen „Blauen Buch“ Ludwig Wittgensteins. In diesen posthum veröffentlichen Notizen denkt der österreichische Philosoph über Erkenntnistheorie, Semantik und die Abbildung der Wirklichkeit nach. Markus Sixay, der häufig mit kunsthistorischen Referenzen und theoretischen Fragen spielt, überträgt Wittgensteins Überlegungen in den Kunstkontext (Preise zwischen 256 und 7000 Euro). Da steht dieses Paket rum, wie ein frühes Christo-Werk zusammengeschnürt aus „Pappe, Papier und Geheimnis“, wie es in der Preisliste heißt. Die „Box, die im Jahre Million zu öffnen ist“, bringt das Prinzip erfolgreicher zeitgenössischer Kunst auf den Punkt: ambivalent bleiben, Geheimnis erzeugen. „Jedes Zeichen kann im Prinzip gedeutet werden“, schreibt Wittgenstein im „Blauen Buch“, „aber die Bedeutung darf nicht gedeutet werden können.“

Während im Nachbarraum der in Berlin lebende Künstler Gerold Miller verschiedene Bearbeitungen an Aluminiumobjekten gleicher Form vornimmt, scheinen bei Sixay Wort, Satz und Geist dem Material und dem Bild überlegen. Auf einem Fernsehbildschirm klebt ein schwarzer Fleck, so dass das Glas zerstört aussieht. „Mit Bücherkiste zerstörter Fernseher“ heißt die Arbeit. An der Wand hängt als geheimnisvolles Paket des Elektronikzeitalters eine CD, auf der eine Bilddatei gespeichert ist. Der Datenträger ersetzt das reale Bild. Auch eine andere Arbeit kommt beinahe ohne Kunst aus: Sixay präsentiert einen leeren Bilderrahmen, das Passepartout lenkt den Blick auf die Rückseite des Rahmens. Auch abwesende Kunst kann Kunst sein. Gegenüber zeigt ein Inkjetdruck auf Papier nichts als den eigenen Strichcode. Hier überstrahlt nun doch das Geld die Kunst, die nur noch ihren Warencharakter offenbart.

Falls doch noch Zweifel bestehen an der Vielschichtigkeit des modernen Kunstbegriffs, hat Städelabsolvent Sixay eine Litfasssäule mit internationalen Lexikoneinträgen zum Thema aufgestellt. Auch wenn „Art“ eingeklemmt wird zwischen „Arsen“ und „Artefakt“, bleiben die Bestimmungsversuche vage. Und: Weder diese Definitionen noch Wittgenstein geben Auskunft auf die betriebswirtschaftlich drängende Frage, ob sich der Trick mit den hundert Dollar weiter ausbauen lässt. Kann Markus Sixay die erworbenen tausend Dollar für zehntausend Dollar veräußern?

Mehdi Chouakri, Edison Höfe, Invalidenstr. 117, Eingang Schlegelstr. 26, bis 5. August; Dienstag bis Sonnabend 11-18 Uhr

Daniel Völzke

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