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Kultur: Gelungenes Debütalbum des weltweiten geschätzten DJ-Trios

"Kennst Du noch Nazareth, diese Proll-Combo aus den Siebzigern?" Fetisch hat die Frage kaum ausgesprochen, da liegt die Platte schon auf dem Teller.

"Kennst Du noch Nazareth, diese Proll-Combo aus den Siebzigern?" Fetisch hat die Frage kaum ausgesprochen, da liegt die Platte schon auf dem Teller. "Da sind acht Takte drauf - der reine Hip Hop." Er legt die Nadel am Anfang eines Stücks auf, das mit unbegleitetem Schlagzeug beginnt. Mittleres Tempo, sehr heavy. So etwas lädt man in den Sampler und macht ein Loop, eine Endlosschleife. Fetisch kramt schon wieder in seinen Platten und zieht "Coda" von Led Zeppelin heraus. John Bonhams gute alte Rumpelkiste. Auch daraus könnte ein HipHop-Stück werden. Aber nicht heute.

Fetisch und sein Kollege Meister benutzen zwar einen Sampler, aber der ist kein Ersatz für wirkliche Musik. "Warum soll ich stundenlang in einer Gitarren-Sample-CD herumklicken," sagt Meister, "wenn ein grandioser Gitarrist wie Alex Hacke um die Ecke wohnt. Mit dem tragen wir einen Kasten Bier ins Studio, haben Spaß und hinterher die Festplatte voll mit göttlichen Gitarrenparts." Das Studio sieht tatsächlich so aus, als würde hier nicht nur gelegentlich Spaß gehabt. Keyboards, Plattenspieler, Mischpult, Effektgeräte, Kabel - alles in jenem geordneten Durcheinander, das Musiker in ihren Biotopen einfach brauchen. "Gegenüber sind Atari Teenage Riot. Man kann einfach super Krach machen", sagt Fetisch. In dieser Kreuzberger Fabriketage, schlägt das kreative Herz von Terranova, einem Berliner Popwunder, das im Verborgenen gewachsen ist, aber nun mit Macht ans Licht drängt. Terranova, das sind im Kern DJ Fetisch, Keyboarder Meister und Mixer Kaos. Doch auf dem Debüt-Album der drei tauchen als Gäste unter anderem auf: Tricky, Cath Coffey von den Stereo MCs und der um die Ecke wohnende Alex Hacke von den Einstürzenden Neubauten.

Fetisch, der vor Jahren auszog und Clubs in London und New York beschallte, spricht von einem gewachsenen Freundeskreis, einem eher familiären Umfeld. Woran seine Reisetätigkeit nicht unschuldig sein dürfte. Ebenso wie seine semifamiliäre Verbindung zu der Schauspielerin Nicolette Krebitz, die ebenfalls drei Stücke singt. In Rainer Kaufmanns verunglücktem Krimi "Long Hello & Short Goodbye" spielt sie die Hauptrolle einer verdeckten Ermittlerin. Der überaus geglückte Soundtrack dazu stammt von - richtig - Terranova.

Womit wir beim Thema Film wären. Viele Stücke auf "Close The Door" klingen wie Soundtracks für Filme im Kopf, viele Stücke aus "Long Hello & Short Goodbye" machen auch ohne den Film musikalischen Sinn. Kaufmanns ästhetisches Wagnis mit Falschfarben, grobem Korn und überraschenden Sprüngen ergänzt sich mit Terranovas Gespür für kratzige, rauchige Tongebung und psychedelische Echos. Bei diesem Film wäre das sonst böse gebrauchte Kritikerwort "schade" einmal ernsthaft angebracht. Fetisch und Meister haben bei der Arbeit mit Kaufmann "gelernt, wie knallhart das Filmgeschäft läuft" und wie man sich "mit achtmal umgeschriebenen Versionen" herumschlagen muß. Das Musikgeschäft ist dagegen vergleichsweise gemütlich.

"Wenn ich gute Musik höre", sagt Meister, "habe ich fast immer ein Bild oder eine Situation vor Augen." Obwohl die drei vorzugsweise tagsüber arbeiten, spielen ihre Ton-Filme meist nachts: Nasser Asphalt, verwackelte Momentaufnahmen, vorbeiziehende Lichter, Großstadtgeräusche. "Die dunkle Stimmung haben wir auch tagsüber", sagt Meister. "Das Glatte hört man ja überall. Ein Stück ist meist vier Minuten lang. Ich brauche etwas, das mich innerhalb der ersten 10 Sekunden packt. Es muss sich reiben." Fetisch, mit Blick zur Plattenkiste, sagt: "Alles was für mich wirklich groß ist, ist auch melancholisch und kommt irgendwie vom Blues. Egal ob nun Massive Attack oder Jimi Hendrix, Tricky, Curtis Mayfield oder Isaac Hayes oder PJ Harvey. Die haben einfach Tiefe und Sehnsucht. In jeder guten Musik ist Sehnsucht".

Sehnsucht ist für sie der treibende Faktor. Sehnsucht nach Freiheit, Liebe, Größe oder einfach nach einem irgendwie gearteten Woanders. Deshalb wollen Terranova - trotz ihrer Neigung zum Film - den Fehler vieler Studiomusikanten vermeiden: "Musik mit den Augen zu machen." Will sagen: Auf den Monitor zu starren und kleine bunte Balken hin- und herschieben oder über Hüllkurven diskutieren und Beats auf sieben Stellen nach dem Komma berechnen.

"Der Computer will Kontrolle über dich", sagt Fetisch. "Wenn du nur noch die Sample-CDs reinlegst, bist du irgendwann nichts weiter als ein Dienstleister." Schon ihre jetztige Arbeitsweise, bestehe zu 10 Prozent aus Kreativität und zu 90 Prozent aus Administration. Aber die 10 Prozent will er sich wenigstens erhalten. Es ist schließlich schon abstrakt genug, wenn man zum Beispiel ein DAT-Tape nach New York schickt und einige Zeit später kommt das Stück mit Gesang zurück. Musiker und Sänger haben nie auch nur im selben Raum gestanden.

Wer will da noch Stunden damit verbringen, Bedienungsanleitungen für den neuesten Digital-Schnickschnack zu lesen? Nicht von ungefähr stehen im Terranova-Studio einige Keyboards, die vor zehn Jahren schon zu den Dinosauriern der elektronischen Musik gezählt wurden: das Hohner D6-Clavinet oder der Moog-Synthesizer. Bei denen dreht man einfach an einem Knopf und es passiert etwas. "Intuitiver Zugriff" nennen Musiker das. Die Knöpfedreherei für "Close The Door" begann in einer winterlich unterkühlten Einzimmer-Ofenheizungswohnung in Schöneberg. Dort haben sie teilweise zu siebt aufeinandergehockt. Weiter bearbeitet wurden die Aufnahmen im Studio von Conny Plank, einem historischen Ort, wo in den siebziger Jahren ein Großteil aller hörenswerten deutschen Musik auf - jaja, damals nahm man noch: - Tonband gebannt wurde. Das Mastering schließlich - jener Prozess, bei dem das akustische Erscheinungsbild einer Aufnahme vor der Pressung letztmalig feingeschliffen wird - fand in den nicht minder legendären Abbey Road Studios in London statt. Keine schlechte Karriere für ein Stück Musik.

Eine ähnliche Karriere steht auch den Percussion-Parts von King Sunny Adé und seinen 24 Master-Drummern bevor, die Terranova für ihr nächstes Album bearbeiten. Womit wir bei der allumfassenden Größe afrikanischer Musik angekommen wären und Fetisch eine Platte von Fela Kuti hervorholt. Aber das ist schon wieder eine andere Kiste."Close The Door" von Terranova (Studio K7) erscheint am Montag. Der Soundtrack zu "Long Hello & Short Goodbye" (Virgin) ist bereits auf dem Markt

Ralph Geisenhanslüke

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