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Lieben lernen. Anika Mauer, Imogen Kogge und Michael Hanemann.

© Freese/drama-berlin.de

„Generation Silver Sex“: Nie wieder Tanztee

Flirtkurs für Best-Ager mit Kontakthemmungen: In Lutz Hübners „Blütenträume“ im Berliner Renaissance Theater schwelen die Spannungen zwischen den Volkshochschulgängern mit amourösen Ambitionen.

Die jüngere Trendforschung kennt sie als „Generation Silver Sex“, Menschen Mitte 50, die kaufkräftig und überhaupt potent einem bewegten Ruhestand entgegensehen. „Länger leben, länger lieben“ heißt entsprechend lustmachend ein einschlägiges Sachbuch zum Thema im Untertitel. Was nun wiederum nicht für jeden eine unbeschwerte Verheißung ist, denn zur dauerhaft erfüllten Liebe gehören auch im silbernen Alter immer noch zwei. Bloß hat da manch einer die erste Ehe schon hinter sich und auf dem Singlemarkt wenig Erfahrung in Sachen Selbstanpreisung.

Der rastlose Theaterautor Lutz Hübner versammelt in seinem Stück „Blütenträume“ eine Gruppe solcher Best-Ager mit Kontakthemmung zum „Flirtkurs 55+“. Wobei von Tanzteegemütlichkeit von Beginn an keine Rede sein kann, stattdessen schwelen die Spannungen zwischen den Volkshochschulgängern mit amouröser Ambition. Etwa zwischen Friedrich (Michael Hanemann), einem 62-jährigen, jovialen Schuldirektor in der „nachberuflichen Lebensphase“, der sich seiner unverbrauchten Libido rühmt, und der frühverrenteten Bibliothekarin Britta (Imogen Kogge), die „alte Männer mit Johannistrieb“ schon gar nicht leiden kann. Auch mit Kursleiter Jan (Guntbert Warns), einem Jungspund um die 40, haben die Flirtschüler ihre Probleme. Der ehemalige Schauspieler, der am Theater Eisenach über das Wolkenschaf im Weihnachtsmärchen nicht hinausgekommen ist, lässt es als liebespädagogischer Debütant in den Augen der Teilnehmer an Kompetenz missen. Mit barschem Drill versucht Jan die unbeholfenen Alleinstehenden in professionelle Charmeure zu verwandeln, wobei zuerst dem gelernten Autolackierer Heinz (Bernd Stegemann) der Kragen platzt, der sich selbst als Mann ohne Eigenschaften sieht („irgendwie sind die weg, seit ich nicht mehr arbeite“) und das angeleitete Selbst-Marketing entnervt abbricht: „So, jetzt geh ich mal rüber zum Büdchen und trink ein Bier oder so was!“ Noch vor der Pause kommt es zur Meuterei gegen den Trainer und seine Methoden. Hernach ward Jan nicht mehr gesehen.

Am Renaissance Theater hatte „Blütenträume“ bereits Anfang November eine Voraufführungsserie, in der Rolf Becker für den probenverunfallten Michael Rastl die Rolle des Ulf übernommen hatte, eines Modellschreiners mit Feingefühl („Man darf dem Holz nicht seinen Willen aufzwingen“). Nun konnte in vorgesehener Besetzung Premiere gefeiert werden, unter großem Jubel. Tatsächlich inszeniert Regisseur Torsten Fischer das Stück zügig, hoch unterhaltsam und schnörkellos, auf einem schlicht-weißen, alle Verschämtheiten ins Licht rückenden Flirtpodest, das Vasilis Triantafillopoulos gebaut hat.

Autor Lutz Hübner kommt dabei zwar nicht ohne Holzschnitt aus, etwa im Falle des Kurs-Nesthäkchens Julia (Anika Mauer), einer 40-plus-Erfolgsfrau, die vorbeugend von sich selbst sagt, dass sie einem Frauenzeitschriftsklischee entspricht, einer Immobilienmaklerin mit makelloser Karriere, die privat am Rande der Hysterie balanciert und Männer mit furchtbaren Forderungen verschreckt: „Erzähl mir doch, was du letzte Nacht geträumt hast!“ Aber berührende Momente haben die Figuren doch alle, auch Mauerblümchen Gila (Renate Krößner) und die vom Schicksal gebeutelte Frieda (Tina Engel), die ihren alzheimerkranken Mann bis zuletzt gepflegt hat. In einem der stärksten Momente des Stücks breitet sie dieses Schicksal in allen deprimierenden Details aus, als Dialogduell mit der angetrunkenen Julia, die den Kitsch der Liebe fürs Leben zu feiern versucht. Es sind durchweg tolle Schauspieler, denen man gerne zusieht, wie sie schließlich ihre Flirt-Fortschritte machen – als Autodidakten.

Wieder am 26. und 27. November, 20 Uhr, 28. November, 16 Uhr

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