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Kultur: Georg Kleins Erzählungen führen in bizarre Junggesellenwelten

Georg Kleins Debüt "Libidissi" war im letzten Jahr von der Kritik zu Recht einhellig mit Begeisterung aufgenommen worden. Nun legt er mit Erzählungen nach.

Georg Kleins Debüt "Libidissi" war im letzten Jahr von der Kritik zu Recht einhellig mit Begeisterung aufgenommen worden. Nun legt er mit Erzählungen nach. Im Unterschied zu seinem Roman fehlt diesen das spannungstreibende Moment der Agentenstory, was zu einer genaueren Lektüre einlädt. Es sind meist Männer- oder besser Junggesellenwelten, in die uns Klein führt, die Nachtwelt der Bastler und Computertechniker, Vertreter, Sammler, Texter und Redakteure. Sofern sie nicht, wie der Unternehmenssprecher aus der titelgebenden Erzählung "Anrufung des Blinden Fisches" an viriler Schwäche leiden, pflegen sie, wenn überhaupt, zu Frauen ausschließlich masochistische Beziehungen. Diese sind Chefinnen, wie Beate Uhse, die Bucklige Gräfin oder die Kommandantin. Angekündigt von einem Conférencier, in dem man unschwer Harald Juhnke erkennt, bezwingt die Varietékünstlerin Ukraina auf der Bühne die mutigsten und stärksten Männer, die sie im Publikum finden kann. Weil an einem Abend sich die von der Direktion dafür bestellten Männer weigern, geht der Direktor selbst. Es ist ein Opfergang, wie der des Spinnenmännchens zur Gottesanbeterin. Doch wodurch Ukraina die Männer bezwingt, erfährt der Leser nicht.

Das hat bei Georg Klein System. Rätselhaft enden meist seine Geschichten. Die Befriedigung profaner Neugierde versagt Klein dem Leser. Geheime Lüste verschaffen den jeweiligen Protagonisten ihre Apparate und Maschinchen, Junggesellenmaschinen eben - les machines célibataires.

Einiges von dem, was Klein erfindet, mag so phantastisch klingen, als sei es von Alfred Jarry oder Jules Verne und ist es doch nicht. Smitt aus der gleichnamigen Erzählung, ein Röhrenbilddeuter, benutzt zum Beispiel einen Röhrenmaulwurf, auf dem eine Kamera installiert ist. Doch solche Apparate gibt es, nur kennt sie kaum jemand, es sei denn, er ist Spezialist. Klein liebt die Mechanik und solch kuriose Maschinen mit noch kurioseren Namen: Robotron, Vortex, Tartarenkeule oder gar ein Halsdrainagevibrator. Man darf vermuten, dass sein Lieblingsaufenthaltsort in Berlin das "Museum der Dinge" ist, wo in hohen Regalen die ausgemusterten Apparate des Alltags schlummern und gelegentlich noch vor sich hin summen und pfeifen. Smitt macht in den Rohren der Kanalisation eine seltsame Entdeckung. Spindelförmige fingerlange Findlinge schwimmen gegen den Strom, nicht Tier, weil anorganisch aus metallischen Spurenelementen zusammengesetzt, und doch auch nicht Ding. Etwas wie Kafkas Odradek eben.

Die Erzählung "Smitt" kann in gewisser Hinsicht als programmatisch gelten, denn es geht in den Untergrund der Stadt, zu ihren unheimlichen Fundamenten. Klein betreibt eine Archäologie unserer Moderne und ihrer Medien. Smitts Abwasserröhren sind nichts anderes als die Magischen Kanäle McLuhans und die Findlinge umhergeisternde Ablagerungen aus dem Weißen Rauschen der Kommunikationsströme (in "Libidissi" war es die Rohrpost.) Als letzte Mitteilung vor seinem endgültigen Verschwinden hinterlässt Smitt auf einem Video das historische Zitat Mielkes, "Ich liebe euch doch alle." Jedoch nicht als hörbar gesprochenen Satz, sondern übersetzt in die Zeichensprache der "Stimm- und Gehörverlorenen".

Für die Verfremdung der Gegenwart bedient sich Klein eines zeitlichen Paradoxons. "Libidissi" hatte man als Science Fiction bezeichnet, was nicht präzise ist. Vielmehr handelte es sich um eine in die Vergangenheit der ersten Jahrhunderthälfte transponierte Zukunft, also vorwärts in die Vergangenheit oder umgekehrt. Zwar sind die Erzählungen stärker als der Roman auf die reale Gegenwart fokussiert - Beate Uhse, die gerade in die Hauptstadt umzog - dennoch verbleibt eine irritierende Unschärfe, ein Oszillieren zwischen phantastischer Zukunft und tiefdeutscher Vergangenheit. Letztere wird durch eine merkwürdig altdeutsche Altertümelei hervorgerufen. Es sind nicht allein die musealen Maschinen, man trinkt auch Asbach Uralt, Moccalikör oder Grünbitter Club: Getränke aus der Asservatenkammer des deutschen Biedersinns zwischen Edgar Wallace und Derrick.

Klein verzichtet ebenso konsequent auf alle Anglizismen, die in den beschriebenen Branchen an sich üblich wären. Für den Ort gilt die gleiche Unschärfe. Angaben wie Charité und Wannsee weisen unzweideutig auf Berlin hin, doch schält sich daraus kein Bild des wirklichen Berlins. Die Stadt wird lediglich herbeizitiert und Klein spielt damit. Die "Galerie für Nichts" aus der Erzählung "Gugu" existierte tatsächlich in Kreuzberg, wird aber in einen imaginären Bunkerbau verlegt. Untergründig wird die Präsenz der Stadt dadurch dennoch stärker spürbar als in manchen Berlin-Romanen, die Authentizität vorgeben. Klein lotet die mythischen Potentiale Berlins aus. Paris hatte Zola, Sue und Balzac, London seinen Dickens und Conan Doyle, doch Berlin mit seinem spröden Fontane blieb stets profan, trotz Döblin und auch Walter Benjamin. Die vergebliche Suche nach dem Mythos zeigt sich gegenwärtig nirgendwo deutlicher als im Reichstag. Repräsentiert die gläserne Kuppel die Zukunft und der Plenarsaal die Mühen der Gegenwart, so legte man im Parterre in den Wandelgängen der Lobby die unterschiedlichen Schichten der Vergangenheit frei. Doch seltsam überhöht präsentieren sich diese. Grob behauene Quader und mächtige Steinportale lassen eher an eine vorzeitliche Megalithkultur denken als an das 19. Jahrhundert, und die kyrillischen Graffiti verwandeln sich in geheimnisvolle Hieroglyphen. Man könnte sagen, Klein schreibt nichts anderes als die Archäologie der Berliner Republik. Und so besehen ist auch Libidissi als Stadt nicht irgendwo in Arabien anzusiedeln, wie es den Anschein besaß, sondern Libidissi ist ebenso Berlin, so wie Bagdad während der wilhelminischen Orientalismusmode stellvertretend für den Wunschtraum von Berlin stehen konnte.

Das sind die zeitlichen wie örtlichen Koordinaten von Georg Kleins literarischem Raum. Die gegenwärtige Literatur bezieht sich stärker, als das bisher zu Bewusstsein kam, auf die Anfänge dieses Jahrhunderts: Heym, Mynona, Kafka. Klein weiß, dies ist eine Marktlücke und Berlin wartet darauf, dass man seinen Mythos schreibe. Die Kehrseite seiner mythologisierenden Vermessungen ist, dass das düstere Faszinosum, das von Berlins Vergangenheit ausgeht, in Versatzstücke aufgeteilt wird, aber man weiß nicht genau wozu. Bunker, NS, die Russen - die offene Flanke der Stadt bis hin zum Ural -, all das ist für den Autor Spielmaterial.

So wie er bewusst den Leser zwischen den Bedeutungsebenen ins Leere laufen lässt, laufen allerdings auch seine Erzählungen selbst auf hohem intelligent-ironischem Niveau leer. Manieriert ist der übermäßige Adjektivgebrauch. Dies gehört zwar ebenso zu seinem Stil des hohen Tons, einer Jean-Paulschen Ironie, doch er kann sich davon nicht freimachen. Und manieriert eklektizistisch sind ebenfalls die stilistischen Anklänge an Kafka zu nennen. So gleichen die Erzählungen den französischen, elegant gezeichneten Comic-Alben, schön anzuschauen, aber zweidimensional, eine Tim & Struppi-Junggesellenliteratur.Georg Klein: Anrufung des Blinden Fisches. Erzählungen. Alexander Fest Verlag 1999. 200 Seiten, 36 Mark.

Tomas Fitzl

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