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Kultur: "Gerettet": Der warf den ersten Stein

Mit dem Rücken zur Wand stehen sie da, diese krummen Jungs, und präsentieren ihre diversen Haltungsschäden. Typische Ab-und Durchhänger-Physiognomien, schlaffe Unterkiefer, baumelnde Hosenböden, in den Köpfen nur noch abgewichste Zoten.

Mit dem Rücken zur Wand stehen sie da, diese krummen Jungs, und präsentieren ihre diversen Haltungsschäden. Typische Ab-und Durchhänger-Physiognomien, schlaffe Unterkiefer, baumelnde Hosenböden, in den Köpfen nur noch abgewichste Zoten. Und die Sprache, wenn man das trashige Gelaber denn so nennen darf: nichts als Müllabfuhr und Gewalt.

Edward Bonds berüchtigte Totschlagspielerbande, deren grausiges Treiben 1965 in London einen Theaterskandal heraufbeschwor, von dem die Shoppen-und-Ficken-Fraktion der britischen Gegenwartsdramatik nicht einmal zu träumen wagt, hat sich am Maxim Gorki Theater in eine buntgescheckte Neandertaler-Horde verwandelt. Harmlose Schwachmaten, auf den ersten Blick so bestialisch wie gemeine Strassenköter. Dann aber kommt er doch, der Schock, mit dem der vom Theater inzwishen abgebrühte Tabubruch-Verbraucher gar nicht mehr gerechnet hat.

Die legendäre Greuel-Szene, in der Bonds kleine Strolche einen Säugling im Kinderwagen spielerisch zu Tode quälen, ist immer noch eine Zumutung, jedenfalls hier, wo sie nicht als dumpfes atavistisches Massaker daherkommt, sondern die Mechanismen des Kontrollverlustes kenntlich macht: als würde eine langsam anschwellende Notdurft der Figuren sich eruptiv entladen. Es ist charakteristisch für Grazyna Kanias Aufführung, dass das schreiende, schlagende, mordende Elend sich eher vorteilhaft in Szene setzt, während die leisen oder stummen Szenen, in denen die wachsende Gewaltbereitschaft spürbar werden müsste, immer etwas unerfüllt bleiben.

Dabei ist die junge polnische Regisseurin auf dem besten Wege, alles richtig zu machen: Sie verbilligt den Klassiker "Gerettet" nicht zum reißerischen Asozialen-Report, sie lässt das Stück nicht im Milieu-Mief verröcheln, sondern versucht, seine Zeitlosigkeit zu betonen, indem sie es aus seinen gesellschaftlichen Verankerungen löst. So aber entzieht sie Bonds exemplarischem Alltagsterrorspiel das Fundament, die ihm zu Grunde liegende Lebenswirklichkeit - und verwurzelt ihre Inszenierung tief im Niemandsland Theater.

Kein Wunder, dass die jungen Ernst-Busch-Schüler immer ein wenig bodenlos und verbrettert wirken. Stephanie Schönfeld spielt die kaltschnäuzige Schlampe Pam mit loderndem Maria-Magdalena-Furor, eine Gossen-Tragödin unter Hochleidensdruck. Felix R. Klare als Len weiss nicht so recht, wohin mit seiner Figur und legt deshalb deren unbeugsame Duldsamkeit zu sehr als Passivität, als Unbeholfenheit aus. Auch Ulrich Blöcher als Potenzprotz Fred wächst über seine breitbeinige Macho-Pose kaum hinaus. Die Familienzwangsanstalt schliesslich, bei Bond ein Aggressionsstaubecken, eine Gewaltbrutstätte, hat hier das Zeug zum Tragikomödienstadl : Wenn Monika Hetterle als Mary und Thomas Neumann als Harry sich ihr verbiestert-lethargisches Schweigeduell liefern, wenn Mama herrisch mit der Fernbedienung fuchtelt und Papa seinen Dackelblick nicht von der Mattscheibe lösen kann, darf sich das Publikum ungestraft amüsieren. Nur das schrille, in atemlose Panik sich steigernde, von niemandem erhörte Schreien des Kindes im Nebenzimmer erzählt uns, worum es hier geht - um die seelenverrohende Lieblosigkeit von Menschen, die einander kalt lächelnd ums Leben bringen.

Meike Matthes

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