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Mutwillig die eigene Karriere sabotiert. Ron (rechts) und Russell Mael lieben Rollenspiele.

© Universal

Doku über die Sparks: Geschwister-Glamrock mit Hitlerbart

Die Sparks machten so lange an allen Moden vorbei Musik, bis sie zeitlos waren. Nun werden die Brüder Ron und Russell Mael mit einem Dokumentarfilm gefeiert.

Von Andreas Busche

Ron und Russell Mael gehören zu den seltsamsten Phänomen der Pop-Geschichte. Eine produktive Irritation lässt sich schon biografisch herleiten: Wer die staksigen Brüder in ihren exzentrischen Dandy-Outfits auf der Bühne sieht, verortet sie automatisch im britischen Pop. Kaum zu glauben, dass sie ihre Jugend an kalifornischen Stränden zwischen Surfern und Freiluft-Bodybuildern verbrachten. Für einen kurzen Moment liebäugelten die beiden halben Hähne sogar mit einer Footballkarriere. Aber dann entschieden sie doch anders und gründeten eine der größten Popbands der Welt.

Der britische Regisseur Edgar Wright ist ein Musiknerd. Ob die Zombiekomödie „Shaun of the Dead“ oder der Swinging-Sixties-Giallo „Last Night in Soho“ (im November in den Kinos), seine Filme stecken voller Popzitate. Mit dem Dokumentarfilm „The Sparks Brothers“ hat er sich anscheinend einen Lebenstraum erfüllt. Es kommt zumindest selten vor, dass sich ein Regisseur selbst vor der Kamera interviewt. „Fanboy“ steht unter seinem Namen, als er erzählt, wie wichtig Ron und Russell Mael mit ihrer Band The Sparks für seine Pop-Sozialisation waren.

Und nicht nur für ihn. Die Liste der Gratulanten ist illuster: Powerpop-Pionier Todd Rundgren, der 1971 ihr Debütalbum (noch unter dem Namen Halfnelson) produzierte, Beck und Bowie-Mentor Tony Visconti, Giorgio Moroder (der ebenfalls bei zwei ihrer besten Alben an den Reglern saß) und Chilli-Peppers-Bassist Flea, Depeche-Mode-Gründer Vince Clarke und Taylor-Swift-Produzent Jack Antonoff. Mit Thurston Moore ist auch ein Vertreter des Punk dabei, denn die liebten die Sparks allein schon wegen Rons Hitlerbärtchen.

Die irrwitzige Bandbreite an Popstars belegt, wie nachhaltig der Einfluss der größten erfolglosen Band aller Zeiten bis heute ist. Immer wenn die Sparks einen Hit hatten (erstmals 1974 mit der kabukiartigen Glamrock-Nummer „This Town Ain’t Big Enough for Both of Us“), konnten man sich sicher sein, dass ihr nächstes Album komplett anders werden würde. Wie man seine eigene Karriere mustergültig sabotiert, erklären die Brüder selbst mit trockenem Witz – und ganz nebenbei auch das Geheimnis, wie man 50 Jahre zusammen Musik machen kann, ohne sich die Köpfe einzuschlagen.

Humor half möglicherweise. Die Sparks gehören auch zu den großen missverstandenen Popbands. Lange galten sie als Novelty-Act, weil das Duo auf der Bühne einfach zu kurios aussah: der wuschelköpfige Frauenschwarm Russell neben dem stocksteifen Ron am Keyboard. Dessen Bärtchen löste bei ihrem ersten Auftritt bei „Top of the Pops“ auf der Insel einen Modetrend aus; spätestens da war klar, dass die Brüder nach England übersiedeln mussten. Auch mit Liebesliedern über jüdische Jungen, die den Eltern die deutsche Freundin vorstellen wollen („She’s from Germany / Well, it’s the same old country, but the people have changed“) trafen sie den resoluten Humor der Briten. Meist aber, beschweren sie sich vor der Kamera, ohne eine Miene zu verziehen, meinten sie es todernst, wenn alle dachte, sie würden scherzen.

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„The Sparks Brothers“ hat dank des unsteten (und stets antiklimaktischen) Karriereverlaufs der Sparks – bei einer Länge von 142 Minuten – mindestens eine Zehn-Akt-Dramaturgie. Wie Cartoonfiguren zogen sie sich immer wieder selbst am Schlawittchen aus dem Sumpf – oder strampelten kurz vorm freien Fall am Abgrund. Sie machten Synthiepop („Computer Girl“), als Kraftwerk noch auf Gitarren spielten. Auf dem Höhepunkt von Punk nahmen die Dandys mit Moroder das Disco-Album „No. 1 In Heaven“ auf.

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Ron und Russell Mael machten so lange an allen Moden vorbei Musik, bis sie zeitlos waren. Phänomenal daran ist, dass sie all die Jahre Alben veröffentlicht haben. Die längste Pause gab es zwischen 1988, auf dem Tiefpunkt ihrer Karriere, und 1994, als sie mit dem Ohrwurm „When Do I Get To Sing ’My Way’“ ihren größten Hit hatten. Seitdem gelten sie als Elder Statesmen des Pop. Ausgerechnet die Pet Shop Boys weigern sich in „The Sparks Brothers“ zuzugeben, welchen Einfluss die Brüder auf sie gehabt haben.

[In den Kinos Babylon Kreuzberg und Moviemento (OmU)]

Dass die alterslosen Maels auch biologisch in einen Jungbrunnen gefallen zu sein scheinen, ist ein anderer Running Gag in „The Sparks Brothers“. Das lässt sich auch leicht auf Youtube überprüfen. Bei ihrer ersten Berlin-Show seit fast dreißig Jahren im Oktober 2012 hüpfte der damals 67-jährige Russell während des gesamten Konzerts wie ein kleiner Junge über die Bühne. Am Ende des Abends erklärten beide den nicht mal tausend anwesenden Fans gerührt, dass sich niemand vorstellen könne, wie viel es ihnen bedeuten würde, erstmals im wiedervereinten Berlin zu spielen. Ein denkwürdiger, vollkommen aus der Zeit gefallener Abend. Drei Jahre später spielten sie dann mit ihren Fans von Franz Ferdinand unter dem Namen FFS auf dem vollen Tempelhofer Feld.

Künstlerische Integrität als Überlebensinstinkt

Das große Happy-end in der aberwitzigen Geschichte der Sparks kommt in Wrights Film nur noch am Rande vor. Denn Ron und Russell Mael, aufgewachsen nur einen Steinwurf von Hollywood entfernt, sind nicht nur Popstars von eigenen Gnaden; sie wollten auch immer Filmstars werden. Darüber, dass ihr Projekt mit Jacques Tati nicht zustande kam, erzählen sie „The Sparks Brothers“, sind sie nie hinweggekommen. Im Juli liefen sie dann aber in Cannes über den roten Teppich, zwischen dem französischen Regisseur Leos Carax, Marion Cotillard und Adam Driver. Sie haben es doch noch ins Kino geschafft. Das Musical „Annette“, für das sie das Drehbuch und die Musik geschrieben haben (inklusive einem Cameo-Auftritt), eröffnete das Filmfestival.

Irgendjemand sagt in „The Sparks Brothers“, dass es unglaublich sei, wie so etwas Seltsames wie die Sparks so lange überdauern konnte. Im Fall der Brüder Mael hat sich das Beharren auf künstlerische Integrität als Überlebensinstinkt erwiesen. Eine andere schöne Metapher aus der Biologie findet Todd Rundgren: Die Sparks seien die Bienen im Ökosystem der Popmusik. Sie haben so viele Blüten bestäubt, dass manche Spätgeborene nicht einmal wüssten, dass sie von den Brüdern beeinflusst seien. Doch auch in diesem Bild trotzen Ron und Russell der Biologie. Ihre Karriere übertrifft den Lebenszyklus der gemeinen Honigbiene um ein Vielfaches.
Korrektur: In der ursprünglichen Version hieß es, das Konzert von 2012 wäre der bislang letzte Auftritt in Berlin gewesen.

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