zum Hauptinhalt
Konzentriert. Bauhaus-Künstlerin Marguerite Friedlaender um 1928.

© Hans Finsler/Archiv Burg Giebichenstein KH Halle

Gestalterinnen der Moderne: Werkstatt mit gläserner Decke

Frauen prägen Kunst und Design: Das Bröhan-Museum holt 99 Gestalterinnen der Moderne ans Licht und erhellt ihre gesellschaftliche Rolle.

Sie haben Karrieren gemacht. Sie verdienten ihren Lebensunterhalt selbst. Lebten lesbisch zusammen oder heirateten, was nicht immer hilfreich war. Sie posierten lachend fürs Gruppenfoto im Pariser Atelier, riesige Paletten in der Hand. Und Bierkrüge.

Sie gründeten auch Unternehmen, lieferten die Entwürfe für Bestsellerprodukte. Sie waren fest angestellt, wurde als Lehrkraft berufen, stellten auf Weltausstellungen aus. Warum verschwanden sie nahezu alle später irgendwie vom Radar? Das Bröhan Museum richtet den kuratorischen Suchscheinwerfer auf 99 Künstlerinnen.

Das Metier galt als Männerdomäne

Das ist alles, was das Landesmuseum für Jugendstil, Art Deco und Funktionalismus in dieser Hinsicht zu bieten hat. Immerhin! 7,5 Prozent der Sammlungsstücke stammen aus Frauenhand. Das sind rund 1500 Porzellanvasen, Modezeichnungen, Silberkännchen, Sitzmöbel, Plakatentwürfe, Bronzeskulpturen, Ölgemälde, Stoffmuster, Teeservices, Keksdosen.

Und ein Klingelknopf aus Messing. Die Silberschmiedin Emmy Roth hat ihn um 1925 geometrisch klarlinig gestaltet. Ihr Metier galt eigentlich als Männerdomäne, schon aufgrund des harten und kostbaren Materials. Eine Fotografie zeigt sie am massiven Räderwerk der Drückbank, wo das feine Auswalzen des Silbers vollen Körpereinsatz erforderte.

„Form ist Ausdruck meines Wesens… weil jede Form, die ich gestalte, ich selbst bin,“ äußerte die aus jüdischer Familie stammende Künstlerin. Sie hatte ihr Atelier in Ku’dammnähe. 1942 nahm sie sich in Palästina das Leben. Sie war nicht die einzige Pionierin, die als Frau und Jüdin doppelte Diskriminierung erfuhr.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Eine Fundgrube ist diese Ausstellung. Querfeldein geht es durch Stile und Werkstoffgruppen, von den Malerinnen der Berliner Secession über die starke Frauenriege der Wiener Werkstätte bis zu den Töpferscheiben in Hameln oder Marwitz-Velten. Margarete Schütte-Lihotskys legendäre Frankfurter Küche, als erste Einbauküche der Welt, darf natürlich nicht fehlen.

Aber auch die exquisite Produktpalette von Europas führenden Porzellanmanufakturen punktete mit dem Potential der weiblichen Belegschaft. Erst jetzt, in der Moderne, rückten die Frauen von bloßen Hilfskräften beim zierlichen Bemalen des „weißen Golds“ zu Formgeberinnen auf. Das von Trude Petri ersonnene Geschirr „Urbino“ von 1931 hat die KPM bis heute im Programm. Die Deckel der Schüsseln lassen sich, umgestülpt, auch als elegante Konfektschalen auf den Tisch bringen: Multifunktionalität war angesagt.

[Bröhan-Museum, Schloßstr. 1a, Charlottenburg, bis 4. September, Di-So 10-18 Uhr]

Zur selben Zeit modellierte in Wien Vally Wieselthier extravagant-freche Frauenköpfe mit bunt glasierten Blumen im frisierten Haar und geschminkten Lippen: Göttinnen der Großstadtgegenwart, leicht angeschickert. Ob stilsicher innovativ oder gekonnt dem Zeitgeist entsprechend: die Bandbreite ist groß. Kein gemeinsamer Nenner, nirgends. Wie auch?

Zwar suchten die durchweg männlichen Kunstkritiker seinerzeit mit erstaunlicher Hartnäckigkeit nach dem typisch Weiblichen angesichts der von Frauen gestalteten Objekte, aber das entlarvt sich als Phrase. Immer wieder meinte man Schmiegsamkeit, Biegsamkeit, Zierlichkeit zu erkennen und betonte freundlich herablassend nebenbei die Inferiorität der Artefakte und ihrer Schöpferinnen.

Doch die angewandten Künste, so Kuratorin Anna Grosskopf, boomten um 1900 und hatten enormen Bedarf an Arbeitskräften. Da rückten die Frauen nach. Früher als in den freien Künsten gestand man ihnen eine professionelle Ausbildung in den traditionell femininen Tätigkeitsfeldern des textilen Gestaltens, des Töpferns und des Dekorierens zu.

Kunsthochschulen blieben bis 1919 Frauen verwehrt

Die hehre freie Kunst akademisch zu studieren, blieb Frauen bis 1919 etwa an der Berliner Kunsthochschule verwehrt. Umso wichtiger wurden private Lehranstalten wie die hiesige Reimann-Schule. Für deren legendäre Kostümbälle entwarf Marie Schulz hinreißend witzige Outfits. Ein Modell heißt „Spinat mit Ei“. Zum minikurzen grünen Dress trägt die Dame ein gelbes Hütchen mit weißer Krempe.

Für das Bröhan-Museum wurde es höchste Zeit. Allenthalben durchforsten Museen mittlerweile ihre Bestände auf der Suche nach mehr Gendergerechtigkeit. In den stillen Corona-Monaten wurde die Ausstellungsidee geboren und ratzfatz in die Tat umgesetzt.

Kaum ein halbes Jahr Vorbereitungszeit später war die materialreiche Schau „Ansehen! Kunst und Design von Frauen 1880 - 1945“ fertig. Unprätentiös an die Wand geheftete Papierausdrucke mit Zitaten, wandgroß gezoomten historischen Fotos und schlaglichtartigen Kurzbiografien pflastern die Wände. Vor dieser reportagehaften Erzählung kommen die ausgewählten Objekte allein durch ihre gestalterische Qualität zur Geltung. Und die spricht für sich.

Expressive Muskelspannkraft

Gleich im Entree setzten die kraftvollen Skulpturen von Chana Orloff ein Ausrufezeichen. Die muskulöse Büste des russisch-französischen Malers Alexandre Jacovleff dominiert mit expressiver Spannkraft, gebändigt durch kubistische Strenge. International zählt die Künstlerin zu den bedeutendsten Bildhauerinnen der Moderne. In Deutschland ist sie kaum bekannt.

1888 in der ukrainischen Kleinstadt Starokostjantyniw zur Welt gekommen, pendelte sie später zwischen Paris und Israel. Das Museum nutzt diese Lebensgeschichte für einen Brückenschlag in die Gegenwart. Stichwort Ukraine: über QR-Codes abrufbar gibt es etwa Infos über künstlerische Studienangebote für Geflüchtete aus der Ukraine.

Sichtbarkeit queerer Lebensformen

Wandfüllend auf knallgelbem Grund stechen in allen Ausstellungsräumen solche aktuellen Denkanstöße ins Auge. Denn die alten Fragen und Konflikte sind noch immer nicht vom Tisch. Da geht es um den Gender-Pay-Gap oder die „gläserne Decke“, an der weibliche Karrieren vielfach enden. Es geht um weibliche Netzwerke oder die Sichtbarkeit queerer Lebensformen.

Gerade in dieser Hinsicht gebe es noch viel zu forschen, so Ko-Kuratorin Julia Meyer-Brehm. Sie verweist auf zwei bunt geringelte Tabak- und Likörgefäße. Das Duo Hedwig Marquardt und Gust Kaiser entwarf Verkaufsschlager der Kieler Kunst-Keramik. Aber eine gemeinsame Wohnung gab es für das offen lesbisch lebende Paar nicht. Nach nur einem Jahr wurde ihr Arbeitsvertrag nicht verlängert. Ein erst kürzlich angekauftes Gemälde belegt, dass Marquardt auch als Malerin hervortrat.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false