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Die Dame mit den großen Ohren. Bildhauer Frank Kösel modelliert die "Fama", eine mythologische Gestalt, die sowohl für Ruhm als auch für das Gerücht steht. Sie ist eines von 2800 Schmuckelementen, die hergestellt werden müssen.

© Thil Rückeis

Kultur: Gips was auf die Ohren

Bildhauer rekonstruieren Andreas Schlüters Fassadenelemente für das zukünftige Schloss in Mitte in der Schlossbauhütte

Frank Kösel richtet die Stirnlocke einer wuchtigen Dame. Behutsam streicht er über die einzelnen Strähnen, als wäre er der Friseur ihres Vertrauens. Dabei ist Kösel Bildhauer und die Dame eine überdimensionale Fama, eine mythologische Gestalt, die für Ruhm und das Gerücht steht. Sie soll einmal zusammen mit ihrem Pendant, der Göttin Pax, das Portal IV am Humboldt-Forum schmücken. Das voluminöse Relief ist eines von 2800 Schmuckelementen, die der Bildhauer und Baumeister Andreas Schlüter Anfang des 18. Jahrhunderts für das Barockschloss Friedrichs I. ersonnen hat und nun in der Schlossbauhütte in Spandau rekonstruiert wird. Ein halbes Jahr arbeitet Kösel allein daran. Famas Armspanne beträgt drei Meter, der Bildhauer hat sich das Tor mit Holzplatten nachgebaut, um ein genaues Gefühl für die Proportionen des Baus zu bekommen.

Kaum jemand setzt sich so intensiv mit Schlüters Kunst auseinander wie die Bildhauer der Schlossbauhütte. Sie erfassen jeden Beinschwung, jede ausgewogene Komposition, monatelang, mit Hand und Geist. Frank Kösel findet: „Vor Schlüter war nichts und danach kam nicht mehr viel.“ Für ihn verkörpert Schlüter die Blüte der Bildhauerei in Preußen. „Das war ein gewitzter Hund“, sagt Bertold Just, Leiter der Schlossbauhütte. „Schlüter ist nach Rom gegangen und hat die Künstler dort genau studiert. Er hat Hochkultur nach Berlin geholt.“ So gleicht etwa Schlüters Borussia, als Symbolfigur des 1701 gegründeten Königreichs Preußen das Portal VI krönend, der Mathilde von Tuszien von Bernini im Petersdom. Kopfhaltung und Faltenwurf – identisch.

Die Bildhauer von heute haben alle Mühe, diese Kunst wiederauferstehen zu lassen. Ein paar Fragmente des Fassadenschmucks sind zwar noch erhalten, einige dieser Originale hat Bauhüttenleiter Just gerade ans Bode-Museum ausgeliehen, wo Andreas Schlüter von heute an in der großen Ausstellung „Schloss Bau Meister“ geehrt wird. Für die Dauer der Schau wird einer der Bildhauer seinen Arbeitsplatz auf die Monbijou-Brücke gegenüber des Museumseingangs verlegen. Für die meisten Ornamente, Kapitelle, Konsolen, Rosetten, Fratzen und Figuren der reich verzierten Fassaden müssen sich Just und seine Leute aber auf historische Dokumente und wissenschaftliche Publikationen stützen.

"Selbst ein perfektes Foto gibt Rätsel auf"

Auch auf Fotos können sie zurückgreifen. „Aber selbst ein perfektes Foto gibt Rätsel auf“, sagt Bertold Just. Je nach Blickwinkel verschieben sich darauf die originalen Proportionen. Ist das Bein des kleinen Putto tatsächlich so lang wie es auf dem Bild erscheint? Das Wichtigste ist daher ein genaues Wissen darum, wie Schlüter und seine Werkstatt tickten, welche Ideen sie verfolgten, wie sie arbeiteten.

So fand Just etwa heraus, dass die kompletten Fassaden mit einem imaginären Raster überzogen sind, an das sich alle Linien anpassen. Von der kleinsten Faltenwurfkanten bis zur unauffälligsten Bartspitze in den Porträtköpfen der römischen Könige, die Schlüter anfertigte, um Friedrich I. in eine Herrscherfolge mit den Imperatoren zu setzen, ist nichts dem Zufall überlassen. Im frühen 18. Jahrhundert half dieses Koordinatensystem aus Vertikalen und Diagonalen den Steinmetzen, die Entwürfe Schlüters haargenau auszuführen. „Es ist durchaus möglich, dass der Stein in rohen Blöcken in die Fassade eingesetzt und vor Ort in luftigen Höhen gearbeitet worden ist“, erklärt der Bauhüttenleiter. „Für uns wirkt dieses Raster wie ein Wunder, weil das Wissen darum verloren gegangen ist. Damals war das das tägliche Brot der Handwerker.“

Just läuft durch die meterhohe Fabrikhalle. Seine Schuhe sind staubig vom Gips, die Hände rau. Auf fünfstöckigen Regalen lagern Fragmente, die noch restauriert werden müssen, bevor sie später in die rekonstruierte Fassade des Humboldt-Forums integriert oder im so genannten Lapidarium ausgestellt werden. Herakles, Hermes, Jupiter und Apoll grüßen als stumme Gipsriesen den Besucher. Mehrere Widder- und Adlerköpfe stehen wie eine Phalanx aufgereiht. Von der Decke hängt ein Flaschenzug. Drei Männer und eine Frau sind über ihre Modelle vertieft. Restauratoren, Modellbildner, Stuckateure und Steinmetze aus Berlin, Potsdam und Sachsen arbeiten hier, fernab vom Schlossplatz in Mitte. In Hochzeiten sind sie bis zu zwanzig Leute, je nachdem, was gerade zu tun ist.

Das große Ohr der Fama

Bildhauer und Restaurator Thomas Klein trägt Silikon auf ein Tonmodell auf, um eine Form für einen späteren Gipsabguss zu gewinnen.
Bildhauer und Restaurator Thomas Klein trägt Silikon auf ein Tonmodell auf, um eine Form für einen späteren Gipsabguss zu gewinnen.

© Thilo Rückeis

„Chef, können wir mal kurz Abnahme machen?“ Bildhauer Andreas Klein bittet den Werkstättenleiter Just an seinen Tisch. Der springt auf die Platte, um von oben besser auf das Ornament, das einmal den Zwickel eines Durchgangsportals zieren wird, schauen zu können und deutet kritisch auf einen Federbusch. „Darf ich dich bitten, da noch mehr Volumen reinzugeben und den Schwung weiterzuführen?“ Dem kritischen Blick des Fachmanns entgeht nichts. Wirklich auf jedes kleine Detail wird hier geachtet. Und immer wieder kommt eine Expertenkommission vorbei und begutachtet die bildhauerische Qualität der Arbeiten.

Am Ende wird es jedes Schlüter-Kunstwerk in vierfacher Ausführung geben. Erst arbeiten die Bildhauer am Tonmodell in Originalgröße. Dieses wird dann mit Silikon bestrichen und abgeformt, um daraus eine Negativform herzustellen. Aus dieser wird ein Gipsmodell gegossen. Und dieses wiederum nutzen die Steinmetze dann als Vorlage, um das Fassadenteil in Sandstein zu hauen. 22 Tonnen wird jenes Relief einmal wiegen, an dem Frank Kösel gerade arbeitet. „Schauen Sie mal, was die für ein großes Ohr hat“, sagt Kösel und deutet auf die Schlüter-Figur. „Damit kann die Fama besonders gut Gerüchte aufschnappen. Gut, was?“ Der Bildhauer lacht. Wenn die Figur einmal hoch oben an der Fassade hängt, wird das wohl kaum jemandem mehr auffallen.

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