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Minarett-Lautsprecher: Ist der Ruf erst installiert

Sie galt als Beweis für friedliches Miteinander – bis ihre Gemeinde Lautsprecher am Minarett anbrachte. Wie um die Moschee im kleinen Rendsburg ein großer Glaubenskrieg entbrannte.

Um 13 Uhr 36 macht es leise „klack“ und eine junge Männerstimme setzt an. „Allahu akbar, allahu akbar!“ Gott ist groß. Der arabische Singsang kommt live aus drei Lautsprechern an zwei Minaretten. Der Muezzin selbst, ein junges Gemeindemitglied, steht mit einem Mikrofon im Gebetsraum. Direkt neben der Moschee rattert die Nord-Ostsee-Bahn vorbei und übertönt den Gebetsruf für eine Weile.

Das orientalische Bauwerk steht in Rendsburg, mitten in der schleswig-holsteinischen Provinz, zwischen biederen Backsteinhäusern, Bahngleisen und der Ortsgrenze zu Büdelsdorf. Mit Fahrrädern, Autos oder zu Fuß sind etwa 40 Gläubige aus Rendsburg und Umgebung zum Gebet gekommen und warten auf dem Parkplatz vor dem Gemeindehaus. Es sind Kaugummi kauende Jugendliche mit Sonnenbrille und ältere Männer mit Vollbart, gebügelter Stoffhose und Rosenkranz in der Hand.

Erst als der Zug weit weg ist, hört man die letzten Zeilen des islamischen Gebetsrufs. Für ein paar Sekunden, dann macht es wieder „klack“ und die Gläubigen schlendern gemächlich in die Moschee.

Ein Muezzinruf in einer deutschen Stadt? Der Antrag der Rendsburger Moscheegemeinde auf „Nutzung der Minarette für Gebetsrufe“ hatte Anfang des Jahres eine Debatte in ganz Deutschland ausgelöst. Der Vorstoß der Muslime provozierte die Frage nach den Grenzen des kulturellen Miteinanders. Hier in Norddeutschland, so meinten denn auch viele, spiele sich der große Glaubenskonflikt im Kleinen ab.

Unbeachtet von der Öffentlichkeit schallt jedoch längst in unzähligen Kleinstädten der Muezzinruf über deutsche Dächer. Auch in Neumünster, das keine 50 Kilometer von Rendsburg entfernt liegt, gehört das „Allahu akbar“ seit 15 Jahren zum Alltag. Mitten in der Stadt, in der Friedrichstraße, klingt es fünf mal am Tag, sieben Tage in der Woche vom Dach der Moschee der Islamischen Gemeinde Neumünster. „Manchmal drehen Kinder den Regler zu weit auf“, sagt Celebi Kilicikesen, der Gemeindechef, und lacht, „dann beschweren sich Nachbarn bei uns“. Aber sonst gäbe es keine Probleme.

Seine Gemeinde, die zum staatlich-türkischen Ditib-Dachverband gehört, betet in einer früheren Autowerkstatt, eine umgebaute Baracke mit türkischem Schild. Ein Minarett gibt es nicht, „dafür haben wir kein Geld“, sagt Kilicikesen bedauernd. „Eines Tages vielleicht, so Gott will“ – man spare bereits fleißig. Der 50-jährige Tischler kann kaum Deutsch. Aber es gäbe viele jüngere Mitglieder in seiner Gemeinde, die „einen intensiven Dialog mit der Nachbarschaft“ führen. Das, so sagt er, sei das A und O, damit es keinen Konflikt zwischen Christen und Muslimen gebe.

Die deutschen Nachbarn stimmen ihm zu. „Hier beschwert sich keiner“, sagt ein Ladenbesitzer in der Friedrichstraße. Wenn es zu laut wird, gehe er zu den Türken und kläre das. „Fertig.“ Zwar kann sich der Nachbar daran erinnern, dass es anfangs Vorbehalte gab. Aber das sei lange her. „Inzwischen nimmt man den Ruf gar nicht mehr wahr“, sagt auch die Apothekerin in der Nähe. Das sei wie mit den Kirchenglocken, man gewöhne sich dran.

Für den Rendsburger Hubert Scheiding ist der Alltag in Neumünster ein wahr gewordener Albtraum. Die Moschee in der Eckernförder Straße liegt nur wenige Meter von seinem Haus entfernt. Scheiding ist einer von zwei Sprechern der Bürgerinitiative „Kein öffentlicher Gebetsruf“, die sich vor über einem halben Jahr gegründet hat.

Scheiding trägt ein Holzfällerhemd und eine weiße Latzhose mit Kaffeeflecken, sein Haar ist grau, die Augen blau. Der 60-jährige Malermeister sitzt im Café des örtlichen Einkaufszentrums, ganz in der Nähe der Moschee, und legt seine, und damit, so meint er, „des Volkes“ Sicht der Dinge dar.

„Die sogenannten Volksvertreter höhlen die Rechte der Bürger aus, zum Vorteil der Moscheebetreiber.“ Dabei gebe es „in der islamischen Lehre“ gar keine Vorschrift für den Muezzinruf, er habe sich informiert. Und bei Moscheebetreibern handle es sich fast immer um „Islamisten“ – das sei nicht seine, Hubert Scheidings, Meinung. Das könne man alles nachlesen, in „Fachmedien im Internet“, die sich im Gegensatz zu den gängigen Medien nicht scheuten, die Wahrheit zu schreiben. Kurz vor der Einweihung der Moschee im Oktober 2009 habe Scheiding über die Lokalzeitung vom geplanten Gebetsruf erfahren. Jahrelang hätten die Muslime verschwiegen, dass sie „ihre dogmatische Botschaft“ ausrufen wollen. Aber das gehöre „zur üblichen Verschleierungstaktik“.

Scheiding und eine Gruppe von Gleichgesinnten zogen daraufhin von Tür zu Tür, warnten vor dem islamischen Weckruf im Morgengrauen und sammelten Unterschriften. Wie viele Rendsburger mit ihm aktiv sind, will Scheiding „aus taktischen Gründen“ nicht sagen. In Rendsburg und Büdelsdorf, dem Einzugsgebiet der Moschee, leben knapp 40 000 Menschen. 783 Unterschriften hat die Bürgerwehr bekommen und der Ratsversammlung vorgelegt. Bei Protestkundgebungen erschienen etwa 20 Mitstreiter.

Den Rendsburger Moscheegegnern kam Ende 2009 ein Referendum von Rechtspopulisten in der Schweiz entgegen, wo die Mehrheit der Eidgenossen für ein Minarettverbot stimmte. Danach kamen Journalisten aus ganz Europa, um über den Muezzinstreit in Rendsburg zu berichten. Und sie richteten ihre Kameras auch auf Hubert Scheiding.

Zehn Jahre hat es gedauert, bis der islamische Bau mit den zwei 26 Meter hohen Minaretten von den Muslimen – überwiegend eigenhändig – fertiggestellt wurde. In all den Jahren hat niemand protestiert. Auch Scheiding nicht. „Da habe ich aber auch nicht gewusst, wer die Moschee baut“, sagt er. Scheiding meint die „Islamische Gemeinschaft Milli Görüs“, zu der die „Islamische Gemeinde Rendsburg e.V.“ gehört. Erst im vergangenen Jahr habe er erfahren, dass Rendsburg es mit einer vom Verfassungsschutz beobachteten Organisation zu tun habe.

In Hamburg, im Büro der Zentrale des „Bündnis der Islamischen Gemeinden in Norddeutschland e.V.“, sitzt Ahmet Yazici in betont bequemer Pose. Er ist stellvertretender Vorsitzender des regionalen Milli-Görüs-Verbands, ein Geschäftsmann im Nadelstreifenanzug, der aus Rendsburg stammt. Der 45-Jährige ist kein Geistlicher, er ist Vorzeigefunktionär, eloquent, mit norddeutschem Akzent. Während der Hochphase des Muezzinstreits hat er oft in Mikrofone gesprochen, als Scheidings Gegenpart. Yazici ist Medienprofi, er will jede seiner Aussagen überprüfen, bevor sie gedruckt wird. Dann spult er PR-gerechte Sätze ab.

„Nach dem ersten Gebetsruf kamen zwei Frauen mit Schokolade in die Moschee und entschuldigten sich, weil sie als Gegner unterschrieben hatten“, sagt er. Sie hätten eingesehen, wie harmlos der Ruf ist. Und die Moschee, deren Baukosten von einer Million Euro überwiegend durch Spenden finanziert wurden, sei eine „Attraktion“ für Rendsburg. „Fast jede Woche kommen Busse voller Besucher, Frauenvereine, Schulklassen, auch aus Dänemark.“ Yazici bestätigt, dass der Muezzinruf kein religiöses Gebot ist. „Aber er macht ein Gebetshaus erst vollständig“, sagt er. Ob seine Gemeinde in Hamburg ebenfalls eine Genehmigung beantragen will, möchte der Verbandsmann im Moment nicht sagen. Am liebsten wäre ihm, man würde ihm die Frage gar nicht erst stellen. Beim Thema Verfassungsschutz stöhnt er und setzt sich aufrecht hin. „Immer diese Phobie.“ Im Bericht der Staatsschützer stehe „ein Loblied“ auf Milli Görüs, das könne jeder nachlesen.

Ein Blick in den letzten Bericht des schleswig-holsteinischen Verfassungsschutzes bescheinigt, dass die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) „ihre Ziele im Rahmen der deutschen Rechtsordnung verfolgt“. Eines ihrer Ziele aber lautet auch „Schaffung eines national-religiösen türkischen Großreichs“. Zur Rendsburger Moscheegemeinde heißt es, sie stelle sich zwar als tolerante, weltoffene Religionsgemeinschaft dar, doch hier würden „hierarchische Strukturen“ herrschen. Auch eine „mögliche Indoktrinierung“ der Jugendlichen werde mit Sorge beobachtet. Gleichzeitig warnt der Bericht vor voreiligen Schlüssen: Inwieweit sich „das Engagement“ des Vereins tatsächlich auswirke, bleibe abzuwarten.

Yazici wiegelt ab. „Wir verfolgen keine politischen Ziele“, sagt er. In seiner Organisation sei „nichts Beobachtungswürdiges“, das über Stammtischgespräche hinausginge. Zur Einweihung der Rendsburger Prachtmoschee sei sogar Ministerpräsident Peter Harry Carstensen von der CDU gekommen. Und in Hamburg verhandle der Senat mit ihnen über einen Staatsvertrag, analog zu denen mit christlichen Kirchen oder der jüdischen Gemeinde. Dieses Argument könnte aber bald wegfallen: Seit Juli steht erneut ein prominentes Milli-Görüs-Mitglied im Visier der Fahnder. Mustafa Yoldas, Ansprechpartner für den Hamburger Staatsvertrag auf Seiten der Muslime, wird vorgeworfen, als Vorsitzender der – inzwischen verbotenen – „Internationalen Humanitären Hilfsorganisation“ die radikal- islamische Hamas mit Millionen-Spenden unterstützt zu haben.

Wann genau die Stimmung in seinem Ort gekippt ist, kann Andreas Breitner nicht sagen. Der Bürgermeister von Rendsburg residiert in einem Neubau, 20 Minuten Fußweg von der Moschee entfernt. Er erinnert sich noch gut daran, wie seine Stadt 2008 im „Spiegel“ als Positivbeispiel angeführt wurde, wo „die kühlen Norddeutschen den Großmoscheebau mehrheitlich akzeptieren“. Doch dann wurde er auf Lokalterminen von Journalisten und Kamerateams verfolgt und erhielt E-Mails, in denen er als „Verräter am deutschen Volk“ beschimpft wurde.

Auch Morddrohungen waren darunter. „Es stellt sich nur noch die Frage, wohin wir die Bombe als Erstes schmeißen werden. Ins Rathaus oder in die Minarette“, hieß es in einem Fax. Oder: „Wenn die Moslems uns eines Tages überrennen, kann ich nur hoffen, dass sie Dich und die anderen als Erstes abschlachten und ans Minarett hängen.“ Der Bürgermeister sitzt in seinem Büro mit Blick ins Grüne, zeigt die Hass-Post und wirkt gelassen. Die Schreiben kamen nicht von Rendsburgern, sondern aus dem Rest der Republik, sagt Breitner. In seiner Stadt sei die Aufregung um den Muezzinruf eigentlich immer gering gewesen. Breitner ist ein großgewachsener Mann mit hoher Stimme. Sein Zweitjob ist der des stellvertretenden Landesvorsitzenden der SPD. Die Muezzin-Episode hat er als spannende Erfahrung abgehakt. Ob die Muslime zum Gebet rufen dürfen oder nicht, stand für ihn nie zur Debatte. „Das Gesetz erlaubt es“, fertig. Auf den Streit um kulturelle Überfremdung antwortete er pragmatisch und ließ den Muezzinantrag baurechtlich prüfen, mithilfe einer Verwaltungsvorschrift zum Bundesimmissionsschutzgesetz, der „TA Lärm“. Zwei schalltechnische Gutachten später lag das Ergebnis vor: Wegen des „Informationsgehalts der Geräusche“ sollte der Gebetsruf sechs Dezibel niedriger sein als anderer zugelassener Lärm, wie das Be- und Entladen von gelieferter Ware etwa. 44 statt 50 Dezibel.

Die Stadtverwaltung erteilte Anfang des Jahres eine Genehmigung für fünf Gebetsrufe am Tag zwischen sechs und 22 Uhr, doch Breitner riet den Muslimen ab, davon komplett Gebrauch zu machen. Die Lage sei zu angespannt. Die Moscheebetreiber willigten ein: Lediglich 40 Dezibel, einmal in der Woche, am Freitag. Sie haben sogar den Verstärker verplombt, damit man ihn nicht verstellen kann. „Das ist so laut wie Vogelgezwitscher“, erklärt der Bürgermeister. Der Kompromiss – ein Muezzinruf, der so leise ist, dass man ihn nur auf dem Moscheegelände hören kann.

Für Hubert Scheiding ist das alles „reine Taktik“, um die Bevölkerung an die Rufe zu gewöhnen. „Wir begleiten den Prozess messtechnisch“, sagt er. Jeden Freitag, wenn der Gebetsruf ertönt, steht Scheiding in seinem Vorgarten und misst mit einem Spezialgerät den Lautstärkepegel. „Je nach Windstärke hört man den Ruf ziemlich laut“, sagt er. Wie laut genau, will er nicht sagen, „aus taktischen Gründen“.

Auf dem Bürgersteig gegenüber der Moschee blickt eine Fahrradfahrerin konzentriert auf die Lautsprecher. Sie wohne um die Ecke und werde von Bekannten immer wieder gefragt, wie das denn nun sei mit dem Ruf, erklärt sie. Aber bei ihr daheim höre man nichts. Deshalb habe sie den Abwasch unterbrochen und sei mal rübergefahren. Fast wirkt sie enttäuscht. Der arabische Singsang ist noch leiser, als sie dachte. Die Hausfrau zuckt mit den Schultern. „Viel Lärm um nichts“. Sie steigt auf ihr Fahrrad und fährt los. Ihren Namen will sie nicht sagen. „Sonst gern, aber bei diesem Thema auf keinen Fall.“ Zu heikel.

Ferda Ataman[Rendsburg]

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