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Kultur: Glück und Glas

Kunst-Hotel: Die Berlinische Galerie öffnet ihr neues Domizil

Nur dass das schon mal klar ist: Wenn es eine Achse Berlin-Neapel gibt, dann ist das allein Gio di Seras Schuld. Wie kein Zweiter hat sich di Sera, irgendwann vor inzwischen deutlich mehr als dreißig Jahren irgendwo unter dem Vesuv geboren, aber seit mindestens ein paar Jahrzehnten in Berlin ansässig, Verdienste um den Kulturaustausch zwischen seinen beiden Heimaten erworben. Der wiederum besteht im Wesentlichen aus Folgendem: Heiligenbildchen und Flohmarktkitsch, Hyperrealismus und Schriftzeichen-Kunst, Großstadtfolklore, Hip-Hop und Blaxploitation-Style sowie noch einiges mehr, worauf hier aus Jugendschutzgründen allerdings nicht näher eingegangen werden soll. Und das Schönste ist: Der ausgewiesene Aktivist gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, der auch noch als Radio-DJ fungiert, ist erfolgreich damit, was man unter anderem daran sieht, dass er der sogenannte offizielle Botschafter von Kreuzberg ist.

Di Seras vor liebevollen und nicht so liebevollen Details überbordende Rauminstallation ist unbestritten eine der Attraktionen der Ausstellung und Aktionsreihe „Hotel Berlinische Galerie“, mit der das Landesmuseum für Moderne Kunst, Architektur und Fotografie derzeit auf seine neue Adresse an der Alten Jakobstraße in Kreuzberg aufmerksam macht. Das einzige Beispiel für die künstlerische Versöhnung von gutem und schlechtem Geschmack ist sie freilich nicht. Da gibt es noch ganz andere Kandidaten, etwa Knut Gerwers, der in einem der Büros des künftigen Verwaltungstrakts der Berlinischen Galerie eine Guillotine aufgebaut hat. Auf einem Fernsehgerät läuft das dazu gehörige Video: Im Sekundentakt fährt dort das Messer der Hinrichtungsmaschine nieder.

Auf den ersten Blick ähnlich plakativ, bei näherer Betrachtung jedoch durchaus von subtiler Wirkung ist der Einfall von Fritz Heisterkamp. Er hat an der Empore in der großen Halle des ehemaligen Glaslagers ein Gewehr angebracht, Zielfernrohr inklusive. Kinder vor allem schießen damit auf die Besucher, was jedesmal einen lauten, dumpfen Knall erzeugt und an Marina Abramovics berühmte Pistolenperformance erinnert: wieder einer „tot".

Es ist eine wilde, teilweise auch krude Mischung, die hier unter maßgeblicher Mitarbeit der Künstlergruppe „erster Stock“ zusammengekommen ist. So kann man sich von einem „Freischneider“ eine neue Frisur verpassen lassen, kann sich in die Liste der Kampagne für ein freies Radio in Berlin eintragen, die offenbar der Meinung ist, die wahre Unabhängigkeit der Medien läge im Dilettantismus. Man kann aber auch einfach nur ein Bad nehmen (nach vorheriger Anmeldung) und wird dabei vielleicht feststellen, dass das unspektakuläre Traditionelle auch seinen Wert besitzt. Beispielsweise die gemalten Landschaften von Frank Tornow, der Postkartenmotive als Schichtenmodelle präsentiert. Oder die Fotoserien von Christine Kisorsy und Mirko Reinecke, welche den Alltag der Wahrnehmung vorführen und darin so manches Wunder entdecken. Von Ernst F. Drewes stammen zwei quietschbunte plastische Arbeiten, die sich wie überdimensionierte Kaugummis an den Wänden entlang schlängeln, und die Gruppe Haloeffects zeigt eine wunderbare, mit unzähligen Bilder bestückte Dia-Show mit Eindrücken aus Berlin, in der sich Bedeutsamkeit und Banalität auf sehr poetische Art wechselseitig bedingen.

Gelungen ist nicht alles, was sich im Hotel Berlinische Galerie tummelt, aber alles erfüllt seinen Zweck. Die Berlinische Galerie ist wieder im Gespräch, diesmal mit überwiegend guten Nachrichten, was angesichts der jüngeren Vergangenheit eine willkommene Abwechslung darstellt. Wie sagte Jörn Merkert, der Direktor des Landesmuseums: Ein Hotel sei ein Ort, an dem nach dem Zufallsprinzip die verschiedensten Menschen für kurze Zeit zusammentreffen, um alsbald wieder jeder für sich seiner eigenen Wege zu gehen. Die Berlinische Galerie dagegen wird bleiben, und es ist Anna von Gwinner, die dafür wahrscheinlich die treffendste Metapher gefunden hat. In der Lagerhalle, die dereinst der Hauptraum des Museums sein wird, hängt von der Decke eine große Leinwand. Darauf sieht man einen Film, einen Trampolinspringer in der Luft: Er taucht auf, dreht eine Pirouette und verschwindet wieder, doch nur um im nächsten Moment wieder aufzutauchen, wieder eine Pirouette zu drehen und wieder zu verschwinden, unablässig in einem fort. Was wird Merkert gedacht haben, als er das Werk zum ersten Mal sah?

„Hotel Berlinische Galerie“, Alte Jakobstraße 124-128, täglich 12-22 Uhr, bis 15. Dezember. Informationen: www.hotel-b.de .

Ulrich Clewing

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