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Kultur: Gottes Vorgarten

„Supra“: georgische Rituale beim Berliner Tanz im August

Beim Tanz im August herrscht ein striktes Zweiklassensystem. Renommiertes kann zu angenehmen Anfangszeiten im Hebbel-Theater ins Licht der Öffentlichkeit treten, weniger Bekanntes darf erst nach 22 Uhr gezeigt werden. Was am Rand der Wahrnehmung liegt, mag da auch liegen bleiben. So kommt es, dass die neugierigsten Festivalbesucher auch die tiefsten Augenringe haben.

Vielleicht war es deshalb auch nicht wirklich voll, als mit „Supra“ eine georgische Produktion im Theater am Halleschen Ufer ihre Deutschlandpremiere erlebte. Dabei stimmte diesmal sogar die Anfangszeit. Es ist die Zeremonie des Zuprostens , die dem Abend seinen Rahmen schenkt. Aber bitte denken Sie jetzt nicht an gebrochene Wodka-Jünger im Rinnstein. „Supra“ ist ein Ritual der Klarheit, der Selbstvergewisserung und des Erinnerns, nicht der hochprozentigen Amnesie.

Für die Tanzbühne haben es die niederländischen Choreografen Feri de Geus und Noortje Bijvoets mit Schauspielern und Tänzern aus Kutaisi, der zweitgrößten Stadt Georgiens, bearbeitet. Die Amsterdamer Tanzethnologen stießen im Transkaukasus auf eine Quelle von Stolz und Energie, die die Zeiten von Unterdrückung und Fremdherrschaft überlebt hat – und heute die Kraft einer neuen Generation nährt. Krachend federn die Tänzer vom Boden hoch, wirbeln auf Knien durch den Raum, Tänzer im schönsten Rekrutenalter, junge Männer, wie sie in Tschetschenien jeden Tag sinnlos sterben müssen.

Auch daran erinnert „Supra“ mit seinen gebrochenen Gesängen und seinen tröstenden Legenden. Die wichtigste geht so: Gott hatte die Welt erschaffen und war zufrieden damit. Doch die Georgier riefen ihm zu: Du hast uns kein Land gegeben. Da schenkte ihnen Gott den Flecken Erde, den er eigentlich für sich selbst reserviert hatte. Heute züngeln leckende russische Ölröhren durch Gottes Vorgarten. „Supra“ ist so gesehen auch ein Ritual gegen die Versuchung. Es berührt, weil es bis an die Wurzeln führt.

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