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Kultur: Gretchen am Kühlschrank - David Pountney und Simone Young präsentieren Gounods Stück

Herr Doktor mag nicht mehr. Liebe, Jugend, Glauben kann ihm niemand wiedergeben, und selbst an den Wissenschaften hat der zottelbärtige Laborkittel-Träger keine Freude mehr.

Herr Doktor mag nicht mehr. Liebe, Jugend, Glauben kann ihm niemand wiedergeben, und selbst an den Wissenschaften hat der zottelbärtige Laborkittel-Träger keine Freude mehr. Schon hat er sich die Hände mit Spiritus übergossen, er setzt das finale Streichholz in Brand - da taucht ein grinsender Papp-Kussmund hinter seinem Bett auf und pustet, fffft, das tödliche Flämmchen aus. Hoppla, denkt der Zuschauer: Sollte diese Neuinszenierung von Charles Gounods "Faust"-Oper ein Abend des englischen Humors werden? Der französische Blick auf den deutsche Nationalstoff, vom David Pountney zum britischen Pointen-Vergnügen veredelt? Eine verlockende Vorstellung.

Doch der ehemalige Chef der English National Opera hat nun, ach, die Rezeptionsgeschichte der Oper und leider auch die mittelalterlichen Ursprünge des Faust-Stoffs studiert mit heißem Bemühen und will nun alles auf einmal: Zum einen die Originalversion des Werks von 1859 mit Dialogen statt Rezitativen spielen. Andererseits aber diese Zwischentexte auf deutsch, die Musiknummern aber auf französisch bringen. Weil er aber augenscheinlich seiner internationalen Sängertruppe nicht zutraut, die Dialoge überzeugend über die Rampe zu bringen, führt er Puppenspieler ein, die modellierte Doubles der Sänger bewegen, während Schauspieler aus dem Off neu geschriebene Texte dazu rezitieren. Das wiederum macht die Erfindung einer pantomimisch agierenden Mephisto-Crew nötig, die im richtigen Moment einen gelben Brecht-Vorhang zuzieht, über dem die Puppen dann auftauchen. Und außerdem verlegte er die teuflische Geschichte in die Fünfziger Jahre.

Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, was für einen technischen Aufwand diese Doppelwhopper-Regieideen erzwingen: Ununterbrochen wird auf der von Stefanos Lazaridis mit Fifties-Ikonen vollgepfropften Bühne umgebaut, Vorhänge öffnen und schließen sich, aus dem Bühnenhimmel schweben Hollywood-Schaukeln mit Dauerwellenträgerinnen unter Lockenhauben herab, der Bühnenboden wird von mehreren Strängen originalgetreu nachgebildeter Eisenbahngleise durchschnitten, auf denen Draisinen und komplette Salonwagen hereingerollt werden.

Zwischen all dem Gerümpel müssen sich die Sänger ihren Weg bahnen, um ihre Arien abzusingen - danach haben sie das Feld wieder zu räumen, damit die starrgesichtigen Puppen mit ihren diffus aus dem Off tönenden Leih-Stimmen die zart aufkeimende Spannung gründlich zerstören können. Oder sie stehen verloren herum, während die Dialoge aus den Lautsprechern tröpfeln.

Hätte David Pountney in seinem Konzeptkunst-Furor auch nur einmal kurz innegehalten, um der Musik zu lauschen - es wäre ihm aufgefallen, dass die Dirigentin Simone Young genau das Gegenteil von dem veranstaltet, was auf der Szene passiert. Da nämlich ist nicht das "Original-Musical" im Geschmack der französischen Boulevardkomödie des 19. Jahrhunderts zu hören, das Pountney mit seiner hektischen "Faust"-Show unter den Staubschichten der Opernroutine freilegen will, nicht diese verlogen-verlockend Melange aus Erotik und Religiosität, die Verbeugung vor der bürgerlicher Lust am Voyeurismus. Düster und mühsam, wie unter Geburtswehen, wälzen sich die Akkordfolgen des Vorspiels aus dem Orchestergraben, als habe Gounod das "Rheingold" komponiert. Vom Urgrummeln, aus der tonalen Nacht arbeitet sich die Dirigentin empor ins fahle Licht zm "Avant de quitter ces lieux". Breit und zähflüssig bleibt der Orchesterklang den ganzen Abend über. Von französischem Esprit, von der "leichten Brise", die der Chor im berühmten Walzer besingt, von der Geschmeidigkeit der Melodien ist nichts zu spüren - als wäre Gounod kein maître de plaisir, sondern ein schwerfälliger deutscher Tonsetzer gewesen. Damit freilich entfernt sich die australische Dirigentin mindestens ebensoweit von Gounods Oper wie Pountney.

Die zwei Missverständnisse potenzieren sich und machen den Abend zu einer vierstündigen Herausforderung. Da stehen selbst die herausragenden Solisten auf verlorenem Posten. Dabei wäre mit Anna Maria Blasi durchaus eine Inszenierung möglich gewesen, die den früher oft pietätvoll gewählten Alternativ-Operntitel "Margarethe" verdient hätte. Sie ist kein Bianca-Castafiore-Typ, keine Diva, die ihre Aufmerksamkeit allein der Diamanten-Arie widmet. Ihr liegt an der differenzierten Zeichnung der Figur, sie gibt sich der Rolle rückhaltlos hin, steigert die Körperspannung bis in die finale Kerkerszene. Dass Faust neben ihr noch naiver, verantwortungsloser erscheint, als in der Partitur vorgezeichnet, kommt Marcelo Alvarez entgegen: Sein Faust klingt so jugendlich und strahlend, als habe tatsächlich der Teufel selber Hand an seine Stimmbänder gelegt. Mühe- und vor allem furchtlos setzt er selbst in Risikoregionen zu seinen Spitzentönen an, kann aber auch mit erlesenem Piano-Schmelz aufwarten. Ebenfalls eine Edel-Besetzung ist Rodney Gilfry als Valentin: ein echter Heldenbariton mit der seltenen Gabe, nicht nur über die nötige Power, sondern auch über sensible Zwischentöne gebieten zu können. John Tomlinson orgelt sich durch den Mephisto-Part. Heidi Brunner wirkt glaubwürdig in der Hosenrolle des Sièbel. Vor allem die zweite Cavatine gelingt ihr anrührend.

Vielleicht lag es tatsächlich an den Sängerleistungen, dass es in München nicht zum Skandal kam. Einmal, als die Puppenspieler besonders tief im dramaturgischen Loch versanken, kam Protestgemurmel auf, das aber niedergezischt wurde. Richtig laut wurde nur ein Herr im Rang. Als Marguerite ihr Baby im Fünfziger-Jahre-Kühlschrank verschwinden ließ, musste er einfach "Geschmacklos!" schreien. Die Antwort kam postwendend aus dem Parkett zurück: "Das steht im Libretto, du Depp." Na ja, jedenfalls so ähnlich.

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