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 Grigory Sokolov

© picture alliance / dpa

Grigory Sokolov in der Philharmonie: Eine Handvoll Werke bedeutet die Welt

Keine Salonkunst, nirgends: Grigory Sokolov spielt Schumann, Chopin und Schubert in der Philharmonie.

Es gibt große Konzerte – und es gibt die raren Auftritte von Grigory Sokolov. Einmal im Jahr kommt der russische Pianist in die Philharmonie, jedes Frühjahr mit einem neuen Programm. Sokolov lebt das exemplarisch, was den meisten von uns gründlich abhandengekommen ist: die Konzentration. Keine Interviews, keine Aufnahmestudios, keine Auftritte mit Orchestern, kein schnelles Einspringen bei prestigeträchtigen Festivals. Für den gerade 66 Jahre alt gewordenen Künstler gibt es in jeder Saison nur eine Handvoll Werke, die die Welt bedeuten. Und die für Sokolov extra ins Halbdunkel versenkten Podien, die er mit unbewegter Miene und immergleicher Schrittfolge quert, um an den Steinway zu gelangen. Würde man versuchen, ein Bild dieses Pianisten zu entwerfen, es wäre unausweichlich das eines aus der Zeit gefallenen Menschen. Das ist es, was Sokolov seinen Zuhörern schenkt, ohne je Aufhebens darum zu machen: das Entrückte, Losgelöste und die unerhörten Entdeckungen, die man dabei machen kann.

Kantige Kraft erwächst aus unendlich fein schraffiertem Schwarz

Um den Absprung zu bekommen, braucht es einen sorgsam abgesteckten Rahmen, der wie immer bei Sokolov aus drei Halbzeiten besteht, die diesmal Schumann, Chopin und Schubert zugedacht sind. Es ist ein Programm, das seine Zuhörer damit konfrontiert, wie willkürlich Grenzziehungen doch sind. Schumanns Arabeske op. 18 verwandelt sich unter Sokolovs Händen in eine Brücke, die sich durch hypnotisierende Wiederholungen hinüber zur Fantasie op. 17 entfaltet. Alles, was der Komponist selbst als an seiner Arabeske als „schwächlich“ erachtete, gewinnt bei Sokolov kantige Kraft, die aus einem unendlich fein schraffierten Schwarz erwächst. Sein Spiel verneint alle historische Korrektheit, aufleuchtende barocke Verzierungen und choralartige Visionen Alter Musik wirken aber nie manieriert, sondern wie die zwingende Folge eines herrlich freien Spiels.

Bei Chopin münden die Nocturnes op. 32 in die Sonate Nr. 2, keine Salonkunst nirgends, ebenso wenig wie vertröstende Weichlichkeit. Die Pranke, mit der Sokolov auch hier zuschlägt, zerlegt den Klang in seine Ur-Teile, beim Finale wirbeln die Spektralfarben, wie es Scriabin eindruckvoller nicht hätte schaffen können. Im Zugabenteil Schuberts Moments Musicaux: große Ruhe nach den Stürmen, immer zarter werdender Ton – immer größerer Jubel. Karten fürs nächste Jahr gab es bereits in der Konzertpause zu kaufen. Dann kommt Sokolov am 29. März nach Berlin, Programm unbekannt. Bei seiner beständig wachsenen Anhängerschaft werden in absehbarer Zeit keine Tickets mehr auf herkömmlichen Wegen erhältlich sein. Dann hat Sokolov auch den Markt überwunden – und wird uns seine Freiheit hören lassen.

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