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Kultur: Günther Huesmann über Geschichten in der Cigar Lounge

Der Tenorsaxofonist Lester Young hatte eine besondere Art, Mitmusiker zur Ordnung zu rufen. Wenn jemand eine Note verfehlte, holte Young ein Glöckchen aus der Tasche und machte "ding-dong".

Der Tenorsaxofonist Lester Young hatte eine besondere Art, Mitmusiker zur Ordnung zu rufen. Wenn jemand eine Note verfehlte, holte Young ein Glöckchen aus der Tasche und machte "ding-dong". Schlagzeuger Jo Jones schlug in solchen Fällen einfach auf die Spitze seines Beckens "bing-bing-bing". Young blies den ersten Takt von "Running wild", wenn er besonders ärgerlich auf Musiker wurde, die keine eigene Geschichte zu erzählen hatten. "I try not to be a repeater pencil", meinte er, "Ich will kein Stift sein, der sich wiederholt". Am Mittwoch werden im A-Trane einzigartige Jazz-Geschichten erzählt. Der Sound des Trio um die Pianistin Marilyn Crispell ist untrennbar mit den Personen verbunden, die den Jazz hervorbringen. Crispells Improvisationen sind ein "stream of consciousness" aus Bach, Coltrane und den Trümmerteilchen der ehemaligen Jazz-Avantgarde; ein Tanz auf dem Vulkan des Disparaten, den Crispell mit der Kraft einer virtuosen Geschichtenerzählerin zusammen hält. Am Kontrabass stützt Gary Peacock, der noch den Feuerofen des Free Jazz in der Band von Albert Ayler miterlebte, und sich doch im Keith Jarrett Trio zur Essenz des tonalen Spiels bekannte. Es gibt heute auf dem Jazz-Kontrabass niemanden, der Melodien schnörkelloser verfeinert. Und das ellyptische Spiel des Drummers Paul Motian durchbricht ebenso subtil wie kantig die Trennlinie zwischen regulärem Beat und freiem Puls. Das Trio macht aus den Kompositionen von Annette Peacock eine seltsam dunkle Feier kostbarer Balladen-Stoffe. Melodien verlieren sich in Modulations-Labyrinthe, das Lyrische wird durch unerwartete Harmonie-Fallgruben gespickt. Besucher des Quasimodo werden Dave Liebman dankbar dafür sein, dass er sich Anfang der achtziger Jahre ganz aufs Sopransaxofonspiel konzentierte. Er hat den Nachweis geführt, dass jenseits der glückstrunkenen New Orleans-Jubilate von Sidney Becht und der lyrischen Weltverlorenheit von Wayne Shorter noch einflussreiche Sopran-Sounds möglich sind. Liebman kommt von Coltrane. Aber bei Coltrane ist das Sopransaxofon ein Mittel zur Tranzendenz. Liebman dagegen erdet das Instrument. Er lässt es in seinen raffinierten zeitgenössischen Linien bewusst rotzig klingen, stäubt es am Donnerstag mit gezielt dreckigen, groove-bewußten Klangpartikeln ein (ab 22 Uhr). Wer es gerne gemütlicher hat, geht heute um 21 Uhr ins Theaters des Westens. Zwar erfindet das Axel-Glenn Buschmann Quartett den Bop nicht neu. Aber zum "Jazz in der Cigar Lounge" gehört ja auch wohl alles andere als Innovation. Und so swingt das Quartett, das sich als Begleit-Band von Shirley Bassey hervorgetan hat, in runder Manier durchs Standard-Repertoire. In abenteuerlichen Momenten wagt es sich bis zu Hip-Hop und Funk-Grooves vor. Da wippt der Fuß, da schaukelt das Gemüt. Und leise sagt die Sprungfeder im Lounge-Sofa: "bing-bing-bing."

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