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Kultur: Gut gekräht

Steffen Richter über den neuesten Kulturkrieg in Frankreich Frankreich hat alles, was Deutschland so schmerzlich entbehrt: das Mittelmeer, einen genialen Spielmacher wie Zidane und eine zivile Protestkultur, die regelmäßig die Geschäftsordnung der verwalteten Welt durcheinander wirbelt. Als Émile Zola sich vor gut 100 Jahren mit seinem flammenden „J’accuse“ in die Dreyfus-Affäre einmischte, schlug dort denn auch die Geburtsstunde der modernen Intellektuellen: Sie sind die eigentlichen gallischen Hähne.

Steffen Richter über den

neuesten Kulturkrieg in Frankreich

Frankreich hat alles, was Deutschland so schmerzlich entbehrt: das Mittelmeer, einen genialen Spielmacher wie Zidane und eine zivile Protestkultur, die regelmäßig die Geschäftsordnung der verwalteten Welt durcheinander wirbelt. Als Émile Zola sich vor gut 100 Jahren mit seinem flammenden „J’accuse“ in die Dreyfus-Affäre einmischte, schlug dort denn auch die Geburtsstunde der modernen Intellektuellen: Sie sind die eigentlichen gallischen Hähne.

Nun machen sie ihrer Tradition der Einmischung und des zivilen Ungehorsams wieder einmal alle Ehre: Soeben hat die Kultur-Wochenzeitschrift „Les Inrockuptibles“ einen Aufruf veröffentlicht, der den „Krieg gegen die Intellektuellen“ geißelt. Unterschrieben haben das Manifest – eigentlich alle. Die Liste reicht von dem Philosophen Jacques Derrida über die Filmemacher Patrice Chéreau, François Ozon, Claude Lanzmann und Bertrand Tavernier bis zur Schriftstellerin Marie Darrieusecq und zu den Politikern Jack Lang und Daniel Cohn-Bendit. Ihr Manifest wendet sich gegen einen „neuen staatlicher Anti-Intellektualismus“. Der würde alle kulturellen Räume, „in denen die Gesellschaft sich denkt, träumt, erfindet“ mit wirtschaftlichen Argumenten plattmachen. Eine „Politik der Vereinfachung öffentlicher Debatten“ greife um sich. An die Stelle der Migrationsdiskussion rücke etwa die schlichte Devise „Für oder gegen das Kopftuch?“

Viele Klagepunkte sind sicherlich berechtigt. Der Forschung werden Gelder gestrichen, Justiz und Psychiatrie sehen sich nach einschneidenden Reformen auf dem Weg in die Krise. Auch von der wundersamen deutschen Stipendienlandschaft können französische Künstler nur träumen. Zu allem Überfluss ist der bekennende Kulturabstinenzler Jean Pierre Raffarin in einem Land Premierminister, in dem sich Staatsmänner gewöhnlich zur Schriftstellerei berufen fühlen. Mit Blick auf Berlusconis Italien und das England der Post-Thatcher-Ära fürchten die Franzosen nicht zu Unrecht, ihre „exception française“ könnte dem ökonomischen Furor zum Opfer fallen. Deutschland scheint interessanterweise als Schreckgespenst nicht zu taugen.

Etwas skeptisch stimmt allerdings die Schwarz-Weiß-Rhetorik, der sich ausgerechnet die Meisterdenker der Differenz bedienen: Hier der ignorante Staat, da die Kulturschaffenden am Abgrund. Doch liegt es wohl in der Natur von Manifesten, dass sie die Komplexität der Wirklichkeit unterlaufen. Wichtiger ist, über kleinliches Gezänk hinweg Einigkeit zu demonstrieren und mit spektakulären Aktionen den Bürgersinn zu mobilisieren. Darum beneiden wir Frankreich ja.

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