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Kultur: Ha, ja. So isches

Physische Intelligenz: Wie der Schauspieler Wolfram Koch am Deutschen Theater Becketts „Endspiel“ mit seiner Oma probt

Um ein Haar wäre Wolfram Koch ja auf dem Abstellgleis gelandet. Aber dann betritt er doch mit nur zehnminütiger Verspätung, einer großen Reisetasche über der Schulter und einer kleinen Entschuldigungs-Fliederblüte in der Hand – „natürlich geklaut“ – die Kantine des Deutschen Theaters. Die nette Rausschmeißerin von der Bahn, erzählt er für die frühe Vormittagsstunde bestechend gut gelaunt, habe ihn leider erst kurz vorm Abstellgleis wachgerüttelt. Mit dem prosaischen Weckdienst der Mehdorn-Truppe kennt sich der Schauspieler bestens aus. Früh von Frankfurt am Main, wo seine Frau und seine vier Kinder wohnen, im ICE nach Berlin; dann – unter Jan Bosses Regie – als lahmer Knecht Clov vier Stunden hoch konzentrierte und, wie man hört, ziemlich lustige Proben zu Becketts „Endspiel“ mit dem blinden Arbeitgeber Hamm alias Ulrich Matthes. Und anschließend wieder in den Zug zur Abendvorstellung nach Hamburg oder Frankfurt – solche Tagesabläufe sind für Koch eher die Regel als die Ausnahme.

Aber Regisseure reißen sich landesweit um ihn. Nicht nur, weil er einer der besten Schauspieler ist, die man auf deutschen Bühnen derzeit sehen kann. Auch, weil er zu den Menschen gehört, die sofort, ganz beiläufig, eine unglaublich angenehme Atmosphäre um sich herum verbreiten. Man muss ihn sich als genaues Gegenteil des neurotischen, um sich selbst kreisenden (Schauspiel-)Künstlers vorstellen. Und: Koch ist hellwach, selbstironisch und mit bemerkenswertem Assoziationsreichtum gesegnet. „Ich labere hier einfach los“, unterbricht er sich und lacht. „Bei mir kommt immer so viel Assoziationsmüll.“

Die Koch’sche Assoziationsmaschine ist bemerkenswert. Er sei zwangsläufig zum Improvisationskünstler geworden, sagt er. Als er in Bochum engagiert war und die hartgesottensten Fußballfans unter den Kollegen bei wichtigen VfL-Spielen ständig ankündigungslos vom Szenario verschwanden, um hinter der Bühne den Spielstand zu erfahren. Andere wären daran vielleicht verzweifelt. Wolfram Koch wurde zum Fußballfan.

Der Schauspieler – 1962 in Paris geboren, in Bonn aufgewachsen und nach zwei Semestern direkt von der Frankfurter Schauspielschule von Kurt Hübner für eine Rolle an die Freie Volksbühne Berlin geholt – spielte schon als Kind Theater und bekam mit dreizehn seine erste Filmrolle in Vojtech Jasnys Böll-Verfilmung „Ansichten eines Clowns“. Was er allerdings dann in seinem ersten festen Engagement 1988 bis 1990 am Berliner Schiller-Theater „zusammenspielte, war relativ furchtbar“, erklärt er und nennt die Kündigung aus heutiger Sicht einen „absoluten Glücksfall“.

Was Koch mittlerweile als Schauspieler interessiert – und ausmacht – weiß man, wenn man „Iwanow“ gesehen hat; Dimiter Gotscheffs großartige, radikale Tschechow-Interpretation an der Volksbühne, die Bühnenbildnerin Katrin Brack zur Gänze in Nebel gehüllt hat. Koch als satter Gutsbesitzer Lebedew mit adäquatem Fatsuit ausgestattet würde seinem Kumpel Iwanow (Samuel Finzi) gern mit ein paar heimlich abgezweigten Rubelscheinen aus der Verschuldung bei seiner unerbittlichen Gattin heraushelfen. Und deshalb gibt es diese irre Szene, in der die beiden alten Jugendfreunde süffisant an der Rampe hocken, sich mit dem spitzfingrigsten hochkulturellen Distinktionsgebaren gegenseitig ihrer Seelenverwandtschaft versichern („Wir sind ja beide Akademiker, wir sind ja beide liberal“) und plötzlich in einer Mischung aus kindlich-hysterischer Regression und totaler Vergeblichkeit, wie sie wahrscheinlich wirklich nur Koch und Finzi zustande kriegen, zu einem albernen Veitstanz hochschrauben. Bis Koch schließlich die Scheine aus der Jacke fingert und sich unter Finzis vernichtendem Blick blöde lachend mit der Faust abwechselnd auf Kopf und Knie schlägt.

Man darf diesen Moment als Geburtsszene des Dreamteams Finzi/Koch veranschlagen, die ihren vorläufigen Höhepunkt in den „Persern“ des Aischylos am Deutschen Theater fand. In Gotscheffs Inszenierung agieren die beiden als verdoppelter Kriegsbote und lassen bei ihrem mindestens zwanzigminütigen Simultan-Bericht (!) vom Niedergang des persischen Heeres bei Salamis im Gleichklang die umwerfendste Differenz aufscheinen: Eine absolute Ausnahme-Leistung, die Finzi mal in den Satz goss, Koch und er seien „ein Gehirn“. Stimmt, sagt Koch, aber: „Wir machen uns jeden Abend in die Hose. Denn das ist Free Jazz!“ Man lässt sich absichtlich voneinander überraschen; die Pausen sind nicht abgesprochen. „Dadurch bleibt das Ding frisch.“

Dass „das Ding frisch“ bleibt, findet Koch grundsätzlich wichtig: „Ich fange ziemlich schnell an, mich an mir selbst zu langweilen.“ Deshalb reist er den Regisseuren nach, die ihn interessieren: Gotscheff, Stefan Pucher, Jan Bosse und vor allem – seit mehr als zehn Jahren und an die zwanzig Produktionen – Jürgen Kruse. Koch geht nicht naiv-identifikatorisch in seiner Rolle auf, sondern kommentiert sie mit seiner ureigenen Spielintelligenz. Zu den Regisseuren, die diese Spielintelligenz zum Klingen bringen, steht er bedingungslos. Gegenstandslos wird Theater für ihn, wenn es gar nicht erst zu dem Punkt kommt, an dem es schiefgehen könnte.

Jetzt also, unter Jan Bosse, Becketts „Endspiel“ am Deutschen Theater – im Duett mit Ulrich Matthes. Natürlich setzt Beckett, wenige Tage vor der Premiere, ordentlich die Koch’sche Assoziationsmaschine in Gang: Als Kind habe er immer höchst beeindruckt den Gesprächen seiner schwäbischen Großmutter mit deren Nachbarin Marie Fiedler – „dem Fiedler’s Mariele“ – gelauscht. „Meine Großmutter sagte immer: Ah, ich sterb eh’ bald“, zitiert Koch dialektal stilecht, „und nach zwanzig Minuten hat ’s Fiedler’s Mariele geantwortet: Ha, ja. Und dann hat meine Oma nach zwanzig Minuten wieder gesagt: So isches. Und dann hat Marie Fiedler wieder gesagt: Hm.“ Keine Frage: Die hatten sich richtig was zu sagen, resümiert Koch ironiefrei. Es war jeden Nachmittag das Gleiche. Hartnäckige Vitalität im tiefsten Nihilismus: Das ist (Lebens-)Philosophie. Das wird das „Endspiel“ à la Wolfram Koch.

„Endspiel“, Deutsches Theater, Premiere am 2. Juni; wieder am 7., 13., und 22. Juni, jeweils 19.30 Uhr

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