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Kultur: Habermas papam

Der Papst und der Philosoph: Ratzingers Relativitätstheorie in globalisierten Zeiten

Ein Wunder hat Joseph Kardinal Ratzinger alias Benedikt XVI. schon bewirkt. Vielleicht wird es einmal als das Römische Rauchwunder, als miraculum fumi, in die Geschichte eingehen. Schließlich kam nach dem Konklave aus dem unscheinbaren Blechschornstein der Sixtinischen Kapelle zunächst dicker, schwarzer Rauch, dann leicht gräulicher, dann wieder schwarzer. Und erst sehr spät flockten eindeutig weiße Wölkchen. Es war, als hätte der Heilige Geist mit den Elementen gekämpft. Oder hatte hier ein Rauchexperte von der dunklen Seite der Macht sich ein Schelmenstück geleistet, ein listiger Feuerteufel?

Ratzinger – die schwarze Eminenz. In der öffentlichen Wahrnehmung begleitete ihn stets das Klischee von der düster-zweideutigen Illuminiertheit. Manch einer denkt in diesen Tagen vielleicht an Thomas Manns Bemerkung, in modernen Zeiten wäre der Teufel ein Theologe aus Deutschland. Und andere mögen nun in wohligem Erschauern Dostojewskis „Brüder Karamasow“ wiederlesen, wo der große russische Metaphysiker einen Großinquisitor, also einen direkten Vorgänger von Ratzinger als ehemaligem Präfekten der Glaubenskongregation, zur Zeit der Gegenreformation auf den wiedergekehrten Christus treffen lässt. In einem theologisch brillanten Monolog erklärt dort der Großinquisitor dem Heiland, warum die Kirche dessen Wiederkunft nicht zulassen könne. Dieses Kapitel Weltliteratur ist ein Glanzstück des Nachdenkens über (christliche) Freiheit und den Totalitarismus des (Kirchen-) Staats.

Dass der Glaube an der Versuchung wächst, ist eine einfache christliche Weisheit. Dass die brillante und tiefe Intelligenz die größte Versuchung des Menschen darstellt, ist die subtile Weisheit von Thomas Manns Epochenbuch „Doktor Faustus“. Aber für Theologen und Kirchenfürsten sind Versuchungen Privatsache. Es gilt das geäußerte Wort. Werk und Glaube bewirken die Rechtfertigung. Aber nicht in dieser Welt, sagen die einen. Nur in dieser Welt, sagen die anderen.

Benedikt VXI. ist der erste deutsche Papst seit fast fünfhundert Jahren. Auf diesen Satz schnurrten von Wolfgang Gerhardt bis Gerhard Schröder die Grußadressen zusammen. Dass Benedikt XVI. dereinst als intelligentester Pontifex seit der Päpstin Johanna gelten wird (eine Frau, die Papst wird, muss noch ungemein intelligenter sein!), ist eine Vermutung, die unweigerlich böse Mächte auf den Plan rufen müsste und deshalb hier nicht vertieft werden soll. Man halte sich einstweilen an den Kölner Kardinal Meissner, der Ratzingers theologisches Genie leutselig auf den Boden des guten Glaubens zurückholte: Ratzingers Theologie sei nicht nur etwas „für den Kopf“, sondern auch etwas „für’s Herz“.

An seinen Worten sollt ihr ihn erkennen! Rechtzeitig zur Beförderung Josephs zum Benedikt erscheint im Herder Verlag eine Aufsatzsammlung Ratzingers: „Werte in Zeiten des Umbruchs“. Und diese 150 Seiten glasklarer Prosa werden alle, die mit dem theologischen Werk des neuen Papstes noch nicht vertraut sind, von dessen abgeklärter Humanität überzeugen – aber auch über seine unverhandelbaren Sturheiten informieren. Hier kann man seinen Vortrag vor der Münchner Katholischen Akademie im Januar 2004 nachlesen, als er mit Jürgen Habermas die moralischen Grundlagen der Demokratie diskutierte. Das jetzt schon legendäre Geistergespräch zeigte etwas für säkulare Intellektuelle ziemlich Überraschendes: dass immer noch, oder vielmehr heute wieder ein ungemein fruchtbarer Dialog zwischen Denkformen möglich ist, die sich lange Zeit auszuschließen schienen.

Es ist aufschlussreich, sich an das Gipfeltreffen des deutschen Philosophen und des deutschen Kardinals zu erinnern. Jürgen Habermas, der Hüter des Diskurses, und Joseph Ratzinger, der Hüter des Dogmas, kamen überein in ihrer Diagnose vom schleichenden Verschwinden „der knappen Ressource Sinn“ in Zeiten der Globalisierung. Habermas, von dem sich seit seiner Friedenspreisrede zum Thema „Glaube und Wissen“ hartnäckig das Gerücht hält, er nähere sich der Religion wieder an, hält seine Theorie des Diskurses offenbar für ergänzungsbedürftig. Er gab damals zur Freude des Kardinals zu, dass der liberale Verfassungsstaat auf die „säkularisierende Entbindung religiös verkapselter Bedeutungspotenziale“ dringend angewiesen sei.

Ratzinger formulierte das so: „Tatsache ist, dass unsere säkulare Rationalität ... in ihrem Versuch, sich evident zu machen, auf Grenzen stößt.“ Seine Therapie: „Ich würde ... von einer notwendigen Korrelationalität von Vernunft und Glaube, Vernunft und Religion sprechen.“ Auf der anderen Seite kritisiert er den demokratischen Liberalismus scharf als „Relativismus“: Die Mehrheit könne nicht bestimmen, was das „Gute“, das „Rechte“ zu sein habe. So blieb beim Münchner Disput der abgründige Dissens, trotz aller Annäherung zwischen säkularer Rationalität und christlicher Dogmatik, überdeutlich bestehen. Für Habermas ist Wahrheit das Ergebnis eines öffentlichen, gewaltfreien, gleichberechtigten Verfahrens. Für Ratzinger ist die Wahrheit Christus.

In seiner Eröffnungsrede zum Konklave hat Ratzinger erneut die „Diktatur des Relativismus“ beschworen. In seinem Wertebuch kann man die Details seiner Thesen nun nachlesen. Viele seiner subtilen und stilistisch geschliffenen Analysen leuchten ein. Die Kritik von Fortschritt, Freiheit und Wissenschaft als neue Mythen einer möglicherweise bedrohlichen Ideologie deckt sich mit der säkularen Kritischen Theorie. Auch ist bemerkenswert, dass Ratzinger nüchtern die „faktische Nicht-Universalität“ des Christentums feststellt. Der Augustinus-Spezialist trennt entschieden zwischen dem Reich der Kirche und den politischen Staaten, für die das Christentum und auch andere Religionen Regulative sein sollen.

Die Kluft zwischen christlicher Dogmatik und säkularem Liberalismus bleibt dennoch unüberbrückbar. Dass die demokratischen Verfassungen längst gut ohne den systematischen Gottesbezug auskommen, sondern sich nur noch historisch auf die Traditionen der Rechtlichkeit berufen (auf die zehn Gebote genauso wie auf die Ethiken anderer Religionen) – davon will Ratzinger nichts wissen. Hans Küngs Theologie vom „Weltethos“ ist für ihn eine leere Abstraktion. Liest man Ratzingers Thesen genau, dann ergibt sich eine hoch fragwürdige Theo-Politik: Für das Seelenheil eines Christen soll es immer noch besser sein, sich mit Aids anzustecken, als ein Kondom zu benutzen.

So bleibt dem säkular Denkenden die Hoffnung, der deutsche Papst möge den großen deutschen Philosophen nicht gänzlich bekehren. Die Heimholung Habermas’ in den Schoß der Kirche – das wäre ein weiteres veritables Wunder für die Heiligsprechung Benedikts XVI. Und ein böser Treppenwitz der Aufklärung.

Marius Meller

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