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Kultur: Händel, gehäckselt

Ein Globetrotter zu Gast in der American Academy: Begegnung mit dem Komponisten Ken Ueno

Ken Ueno hat also in eine Flasche gespuckt, einen Monat lang, bis sie voll mit Speichel war. In die Flasche hat er den Konfettiregen einer zerschnittenen Partitur von Händels Oper „Giulio Cesare“ gegeben, kräftig geschüttelt und dann rasch mit dem Fotoapparat draufgehalten.

Das lang Vergangene im Heutigen und Eigenen: Schließlich war der Satz „Auch Du, Brutus“ Gegenstand einer Entropie- Lektion in der kalifornischen Highschool gewesen, die Frage also, wie viele Luftmoleküle, die Julius Cäsar beim Sprechen in Bewegung gesetzt hat, noch immer über die eigene Atemluft einholbar sind. Das Foto von der Schneekugelflasche hat Ken Ueno digital verfremdet und als Hintergrundbild in seine Webseite www.kenueno.com eingebaut – ein weiteres, von ferne sogar klingendes Zeichen dafür, wie weit die Kreise sind, die der amerikanische Komponist um sich herum zieht.

Ueno, 1970 in New York geboren, als Kind japanischer Eltern zweisprachig aufgewachsen, mit Lebensstationen in Japan, der französischen Schweiz und Kalifornien – seit frühesten Tagen „permanent im Exil“, wie er sagt –, ist einer der originellsten, zugleich erfolgverwöhntesten Komponisten seiner Generation. Seit dem vergangenen Herbst ist er Gast der American Academy, in einem Nebengebäude, wie weiland Gustav Mahler in seinem Komponierhäuschen. Partiturseiten auf dem Schreibtisch, ein Computer und neben Küchenzeile, warum auch immer, eine Zapfanlage mit Bier. Am Sonntag stellt das Festival „MaerzMusik“ Ken Ueno mit einem Konzert im Jüdischen Museum vor.

Lebensvolle Installationen möchte man seine Arbeiten nennen, kreuz- und querdenkerisch bis zum Schrulligen, weit ausgreifende Gesamtkunstwerke einer neuen Zeit, die er sich selbst oder bestimmten Interpreten auf den Leib geschrieben hat: „Ich möchte, dass mein Leben und meine Musik eins sind“. Der Klang seiner Kompositionen vermittelt dabei oft eine geradezu meditative Gemächlichkeit, dazu den unbedingten Wunsch, kein Spiel, kein einziges Experiment unerprobt zu lassen. Zum Beispiel „Talus“ für Viola und Streicherensemble von 2007, das mit einem furchtbaren Schrei anhebt und für das das Röntgenbild einer befreundeten Musikerin von Bedeutung war, das Ueno auf sein Inspirationspotential für Zusammenklänge untersuchte. Die Bratschistin Wendy Richman, deren Knöchel einst beim Sturz von einer Bühne brach, wird es in Berlin aufführen.

Oder das bestürzende, zumindest befremdende Röcheln und Röhren von „On a Sufficient Condition for the Existence of Most Specific Hypothesis“ mit Kostproben von Gesangstechniken der ganzen Welt. Autodidaktisch hat er sich sardische, westafrikanische oder tibetanische Traditionen angeeignet. Oder das Klickern und dunkle Splittern der Bassklarinettenmusik „I screamed at the sea until nodes swelled up, then my voice became the resonant noise of the sea“ von 2006, ein hingebungsvolles Austesten aller möglichen Spieltechniken, das Greg Oakes gewidmet ist, der ebenfalls am Sonntag auftritt.

Ueno entsann sich dafür eines Plastikinstrumentes, das er als Kind besaß, und dachte zugleich an die volkstümliche koreanische Gesangstradition des Pansori, nach der Frauen für die gewünschte Timbrierung ihrer Stimme so lange dem Meeresrauschen entgegenschreien, bis sich auf ihren Stimmbändern Knötchen bilden. Raumgreifend bis ins Globale hinein ist der Weg zur Kunst bei Ken Ueno, jeden Beifang zieht er mit ein, fast so, wie er selbst eine ganze Reihe von Berufs- und Berufungsoptionen hinter sich brachte, bevor er 2006/07 den Preis der American Academy in Rom erhielt, 2008 als Professor für Komposition an die University of California at Berkeley kam und nun für ein Stipendienjahr am Berliner Wannsee lebt.

Eine sportliche Erscheinung, Inkarnation des gelassen- unbekümmerten american way of life, erzählt Ueno freimütig, dass er mit 16 Senator werden wollte, und deswegen zum Studieren an die elitäre Militärakademie West Point ging. 1987 erlitt er dort einen schweren Unfall, musste einen neuen Lebensplan entwerfen. Kurz zuvor hatte Ueno, bis dahin höchstens vertraut mit Blockflöte und Klarinette, Jimi Hendrix für sich entdeckt und selbst begonnen, Unterricht auf der Gitarre zu nehmen. Nun richtete er seinen Ehrgeiz vollkommen neu aus: Studium der Filmmusik und Komposition am Berkley College of Music, dortselbst Begegnung mit Bartóks viertem Streichquartett, „meine zweite musikalische Epiphanie nach Hendrix, kraftvolle Musik, dem Heavy Metal verwandt“. Danach Boston University, Unterricht bei Lukas Foss, weitere Kompositionsstudienjahre in Yale und Harvard, wo er 1999 mit dem Doktordiplom abschloss.

So schreitet Ueno tatsächlich durch Zeiten und Gegenden, hinunter bis in Antike und Barockzeit, hinauf von Kalifornien nach Rom, vom Digitalen ins Analoge, von der Skulptur der Künstlerin Kyoko Kawamura (in „Kizu“ für Koto und Stimme) bis zu den Bildern Gerhard Richters, vom Militär zur Rockmusik, gleich danach ins Hochschulfach „Musik“. Und damit immer wieder zu sich selbst: Uenos Kunst strahlt gutmütigsten Narzissmus aus, wirkt polyglott und zugleich herrlich auf sich selbst bezogen. Politische Ambitionen verfolgt sie höchstens insofern, als sie offen ist, und zwar für alles, was die Welt zu bieten hat. Mit der hochambitioniert sich gebenden, theoretisch vielfach unterkellerten hiesigen Neue-Musik-Szene hat Ueno erst sporadisch Kontakt aufgenommen.

Beim Konzert am 27. März um 11 Uhr im Jüdischen Museum dirigiert Standley Dodds das Ensemble Unitedberlin.

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