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Kulturstaatsministerin Claudia Roth im Rampenlicht auf dem roten Teppich der Berlinale.

© imago images/Pacific Press Agency

Halbjahresbilanz der Kinobranche: Wo sich Kultur und Gesellschaft begegnen

Streamer, Corona, und jetzt kommt noch die Energiekrise auf die Branche zu. Die deutsche Kinobilanz 2022 fällt bisher dramatisch aus. Aber es gibt auch Hoffnung.

Von Andreas Busche

Claudia Roths Worte auf der Berlinale waren wie Balsam für die Seele der von der Pandemie gebeutelten Kinobranche. „Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik“, sagte die neue Kulturstaatsministerin bei der Eröffnung im Februar und zeigte damit ihre Bereitschaft, an das Engagement ihrer Vorgängerin Monika Grütters anzuknüpfen. Die Zahlen für das erste Kinohalbjahr 2022, die die Filmförderanstalt (FFA) am Donnerstag vorlegte, unterstreichen allerdings auf dramatische Weise, dass warme Worte und Absichtserklärungen der Branche wenig weiter helfen.

Um 38 Prozent gingen die Besucherzahlen zwischen Januar und Juni im Vergleich zum Vor-Pandemiejahr 2019 zurück, insgesamt 33 Millionen Kinokarten wurden bundesweit in den ersten sechs Monaten verkauft. Dass die Einnahmen mit 33 Prozent nur geringfügig weniger schlecht ausfallen, hat mit den durchschnittlich gestiegenen Kartenpreisen von heute 9,21 Euro zu tun (2019 waren es  8,60 Euro).

Diese Zahlen sind natürlich nicht sonderlich überraschend. Wer annimmt, die Lage der Kinos hätte sich nach den Lockerungen der Covid-Beschränkungen wieder gebessert, glaubt vermutlich auch, dass die Pandemie bereits überstanden sei. Das Publikum scheint dies offenkundig nicht zu denken, obwohl FFA-Vorstand Peter Dinges es im Halbjahresbericht weniger schwarzmalerisch formuliert: „Vorerst erleichtert können wir feststellen, dass die Kinobranche die Pandemie bis jetzt ganz gut überstanden hat.“

Es klingt wie eine Durchhalteparole. Denn dass dieser Branche, wie der gesamten Gesellschaft als Folge der steigenden Energiepreise, ein harter Herbst bevorsteht – und dazu, mitten in der größten Krise seit Jahrzehnten, auch noch eine Fußball-WM (in der traditionell besten Kinosaison) –, ist in der FFA-Bilanz noch unterschlagen.

Tom Cruise findet seine Fans trotz Pandemie

Auch ein genauerer Blick aufs Detail macht Dinges Mut. Die Juni-Zahlen 2022 sind fast wieder en par mit den Juni-Zahlen von vor drei Jahren. Das könnte bereits auf eine Normalisierung der Lage hindeuten – oder aber, je nach Lesart, auch nur die pandemie-unabhängig schlechten Umsatzzahlen im Sommer unterstreichen. Nach dem Motto: Schlimmer wird’s nimmer. Denn dass die Leute weniger ins Kino gehen, ist nur die eine Wahrheit.

Richtiger wäre zu sagen, dass sie inzwischen anders ins Kino gehen. Kassengold Tom Cruise war mit „Top Gun: Maverick“ in den deutschen Kinos diesen Sommer so erfolgreich wie seit 17 Jahren nicht mehr. Er zieht also weiter sein Publikum, in der Pandemie scheinbar besser denn je.

Die Premiere des Films "Komm mit mir in das Cinema - Die Gregors" im Delphi-Filmpalast, mit Masken und Abstand.

© dpa

Hier kommt die Altersstruktur der Kinobesucher:innen als Faktor ins Spiel. Die Jüngeren gehen allenfalls noch für die großen Eventfilme ins Kino, während sich das ältere Publikum ab 45, das Björn Hoffmann, Vorsitzender der Interessenvertretung AG Verleih, als Arthouse-Zielgruppe identifiziert, weiter zögerlich verhält. Die Arthouse- und Programmkinos leiden unter den schwindenden Besucherzahlen am meisten, trotz der noch bis 2023 laufenden Corona-Hilfen. Und die teils wirren politischen Debatten über neue Maßnahmen wecken nicht unbedingt das Verlangen der treuesten Klientel nach einem baldigen Kinobesuch, ohne Risiko..

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Die Signale aus der Politik sind allerdings auch für die Kinobetreiber und Verleiher nicht sehr ermutigend. Der Ruf nach einer grundlegenden Überarbeitung des Filmfördergesetzes zur nächsten Novelle 2024 wird immer lauter – in der dann die wichtige Funktion der Sparten Verleih und Kino endlich monetär gewürdigt wird. Stattdessen stockte Claudia Roth im Mai noch einmal den 2015 eingeführten German Motion Picture Fund auf neunzig Millionen Euro auf. Geld, das – so der Vorwurf des Hauptverbands Deutscher Filmtheater (HDF) – fast ausschließlich in die Serien-Produktion fließt.

Auch so kann Politik Fakten schaffen. Der Pandemiesieger Streaming bindet immer mehr Kapital aus der sogenannten Filmförderung, die auch im Kulturstaatsministerium unter „Wirtschaftsförderung“ firmiert. Das Geld landet dann bei Prestigeprodukten wie „Babylon Berlin“, im seltenen Glücksfall bei einem Netflix-Film wie „Im Westen nichts Neues“, der es sogar ins Kino schafft. Bei den Kinos selbst, wo die deutsche Filmbranche ihre Umsätze erzielt – und, um Roth zu paraphrasieren, wo sich Kultur und Gesellschaft begegnen –, spart die Politik.

Die aktuellen FFA-Zahlen veranschaulichen den Zustand aus Verzweiflung und Erschöpfung in der deutschen Kinobranche sehr gut. Die macht derweil Werbung in eigener Sache. Am 10. und 11. September findet erstmals in Deutschland bundesweit das „Kinofest“ statt. Die Initiative des HDF möchte für ein Wochenende das Kino als Ort der Begegnung, und nicht bloß als Event-Plattform, in die Erinnerung zurückholen. Die Kinos haben ihr Publikum noch nicht aufgegeben.

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