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Kultur: Haltung ist alles

Alina Bronskys Roman über eine tapfere Tartarin

Rosalinda Achmetowna ist eine starke Frau. Das muss sie auch sein, denn das Leben ist hart am Fuße des Ural, 27 Zugstunden östlich von Moskau. Sie gibt sich größte Mühe: In ihrem Beruf als Archivarin, als Ehefrau eines unbeholfenen kommunistischen Gewerkschafters und nicht zuletzt als Mutter der 17-jährigen Sulfia. Rosalinda ist die Ich-Erzählerin in Alina Bronskys zweitem Roman „Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche“. Der Schriftstellerin, die vor 32 Jahren im russischen Swerdlowsk – heute Jekaterinburg – zur Welt kam und nun in Darmstadt lebt, ist eine fulminante Familiengeschichte gelungen.

Vom entbehrungsreichen Leben in der Sowjetunion anno 1978 bis ins Castingshow-verrückte Deutschland der späten Nullerjahre begleitet man die ungewöhnliche Tatarin und ihre mal größer, mal kleiner werdende Familie. Bronskys lakonischer Stil und trockener Sprachwitz, der einen in seiner Drastik häufig überrumpelt, zeigt sich bereits im ersten Satz des Romans: „Als meine Tochter Sulfia mir sagte, sie sei schwanger, wisse aber nicht, von wem, habe ich verstärkt auf meine Haltung geachtet.“ Diese Selbstbeherrschung behält Rosalinda trotz aller Schicksalsschläge den ganzen Roman über bei. Man leidet mit ihr: Nachdem ihr Mann Boris sie verlassen hat, zieht sie zum pädophilen Kochbuchautoren Dieter nach Deutschland, der scharf auf ihre Enkelin Aminat ist. Dort arbeitet die Akademikerin als Putzfrau. Dann stirbt auch noch ihr einziges Kind. Man bewundert sie: Rosalinda wahrt stets ihre Würde und lässt sich nicht unterkriegen.

Dass Bronsky es vermag, dabei auch die verletzliche Seite der resoluten Dame zu zeigen, ist eine großartige Leistung. In ihrer grandiosen Selbstüberschätzung ist Rosalinda überzeugt, jeder Widrigkeit allein mit ihrer tatarischen Willenskraft trotzen zu können. Verblüfft und niveauvoll unterhalten verfolgt man ihre oft skurrilen, manchmal naiven und immer beherzten Bemühungen um ein besseres Leben für sich und ihre Familie. Bronskys Sinn für die kleinen zwischenmenschlichen Gesten, die häufig feinen Unterschiede zwischen den Kulturen und die Tragikomödie namens Leben ist schlicht bewundernswert. Daniel Grinsted

Alina Bronsky:

Die schärfsten

Gerichte der tartarischen Küche. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010.

318 S., 19, 90€.

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