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Kultur: Handwerk des Lebens

Zum Tod der Schriftstellerin Undine Gruenter

Niemand malte die Pariser Farben wie sie. Sie habe angefangen zu schreiben, um ein bestimmtes Ziegelrot an einer Mauer festzuhalten, sagte Undine Gruenter einmal. Das mag noch im Rheinland gewesen sein, wo sie 1952 als Tochter eines Germanistikprofessors und einer Schriftstellerin zur Welt kam und die ersten anderthalb Jahre im Waisenhaus verbrachte. Bereits ihr Romandebüt „Ein Bild der Unruhe“, 1986 erschienen, verwies dann aber ein für alle Mal auf die spezifische Farbpalette jener Stadt, der sie und ihr Mann Karl Heinz Bohrer treu blieben: Paris. „Alles ist in das klamme Grau-Schwarz einer – existenzialitisch aufgemachten – Dauerdepression getaucht, in dem einzig das Blutrot einige Tupfen hinterlässt“, befand damals die Kritikerin Kyra Stromberg.

Die Dunkelheit wechselte in jenes typische schmutzige Weiß der Pariser Fassaden, als Undine Gruenter sich sechs Jahre später einer menage à quatre widmete: „Vertreibung aus dem Labyrinth“, heißt das Buch, das bereits im Titel eine Lieblingskonfiguration der Autorin erwähnt: den Irrgarten. Abwegig und aussichtslos erscheinen viele ihrer Erzählkonstruktionen, und doch deutet sich stes ein Fluchtweg an.

Diese Fährte in Undine Grueters stilistisch hoch elaborierten und äußerst traditionskundigen Texten zu verfolgen, war manchem ihrer professionellen Leser zu mühsam. So kam es, dass auch ihr letztveröffentlichter Roman „Das Versteck des Minotaurus“ (2001) ein geteiltes Echo fand. Er verlegte die Sage des menschlichen Ungeheuers mit Stierkopf in die Cité des Platanes, einen labyrinthischen Gebäudekomplex am Fuße des Montmartre. Das Leben der Bewohner dieses bunten Makrokosmos ist fortwährend „Anschlägen des Phantastischen durch die Wirklichkeit“ ausgesetzt. Der Roman tarnt sich mal als schwarze Humoreske, mal als Detektivgeschichte. Reiz- und geheimnisvoll entzieht er sich weitergehenden Deutungsversuchen.

Undine Gruenter hielt sich vom deutschen Literaturbetrieb all die Jahre fern. So kommt es, dass ihre Werke wie das Tagebuch „Handwerk des Lebens“ immer noch größtenteils ungehobene Schätze darstellen. Für das nächste Frühjahr ist im Carl Hanser Verlag der Erzählband „Ein kleines weißes Hotel am Meer“ angekündigt. Undine Grueters früher Tod – sie erlag mit gerade fünfzig Jahren in Paris einer langen Krankheit – lässt aus dem Buch ein Vermächtnis werden. Und dann dürfte sich engültig zeigen, wie sehr diese Sprachkünstlerin unterschätzt wurde.

Katrin Hillgruber

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