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Kultur: Hannelore Kohl: Ich

Man könnte sich einen Film vorstellen. Vielleicht einen Film von Ingmar Bergman.

Man könnte sich einen Film vorstellen. Vielleicht einen Film von Ingmar Bergman. Auch Fassbinder hätte ihn drehen können. In diesem Film gibt es einen Mann, der das Licht der Öffentlichkeit sucht, nach oben drängt, wo die Sonne ist, mit aller Kraft, um fast jeden Preis, und eine Frau, die vom Licht verbrannt wird, deren Kraft vom Licht aufgesaugt wird, bis sie stirbt. Sie stirbt allein, in einem Haus, dessen Fenster verhängt sind. Hannelore Kohl ist eine Frau gewesen, über die man sich gelegentlich ein bisschen lustig gemacht hat. Sie war so unzeitgemäß. Sie war die Frau aus einer Generation, die von der Frauenbewegung noch nichts wusste, oder nichts hat wissen wollen, eine, die freiwillig hinter ihren Mann zurücktritt, die ganz für ihn lebt. Die ihr Leben opfert, ihm. Und den Kindern natürlich. Irgendwann ist das alles vorbei. Irgendwann müsste sie für das, was sie geopfert hat, etwas zurückbekommen. Aber das ist selten der Fall.

Zum Thema Porträt: Mehr als eine stille Helferin hinter einem mächtigen Mann Reaktionen: Großartige und couragierte Frau Fototour: Das Leben der Hannelore Kohl Es hat, für die Frauen dieser Generation, einen Ehrenkodex gegeben. Dieses tut eine Frau, jenes lässt sie. Einen Ehrenkodex für die Männer gab es nicht, nicht in Bezug auf die Frau. Eine Frau, die ihren kranken Mann nicht pflegt, kommt nicht in Frage. Die Männer dagegen haben immer viel zu tun, sie sind wichtig, sie werden gebraucht, auch noch mit 70, es geht einfach nicht ohne sie. Vielleicht sagen die Leute: "Er sollte sich besser ein Hobby suchen. Er ist alt, er sollte endlich Schluss machen." Nie sagen sie: "Er sollte sich endlich um die Familie kümmern. Er sollte für seine Frau da sein." Dies ist keine Schuldzuweisung. Dazu weiß man viel zu wenig. Es liegt nahe, allzu nahe vielleicht, ihre Krankheit als eine Metapher zu verstehen, aber das ist alles unbewiesen, eine böswillige Unterstellung, werden manche sagen. Vielleicht ist die Krankheit Zufall gewesen, vielleicht wäre Hannelore Kohl sogar glücklich gewesen ohne die Krankheit, wer weiß. Man ahnt lediglich, dass auf dem Sichaufopfern selten ein Segen liegt, egal, ob für einen Mann, für eine Frau, für einen Job oder für eine Idee. Heilige sind wahrscheinlich keine glücklichen Menschen. In den letzten Jahren ist viel über die Nachtseite des Hedonismus diskutiert worden, des Hedonismus, der nach 1968 über die Bundesrepublik gekommen ist. Diese grenzenlose Egomanie. Diese Sucht nach erfülltem Leben. Aber wenn man sich die Frauen dieser Generation ins Gedächtnis ruft, die Opferfrauen, lebende Schatten, dann erinnert man sich auch wieder an die befreiende Kraft, die in dem Wort "ich" liegen kann. Ich. Meine Bedürfnisse. Das Gleichgewicht muss stimmen, zwischen dem ich und dem du. Das gilt für alle, nicht nur für die Frauen.

Lady Diana und Marilyn Monroe sind durch ihren Tod, einen Unfall, einen nie bewiesenen Selbstmord, zu Mythen geworden. In beiden Fällen hat die Welt den Tod gleichzeitig beweint und als eine Art endgültigen Triumph empfunden, über die Einsamkeit, über ein erfolgreiches Leben, in dem die Liebe zu fehlen schien. Selbstmord ist nicht nur eine Flucht, er ist auch ein Aufbegehren, ein pathetischer Akt der Selbstbestimmung. Wer sich tötet, schreit: Ich. Hannelore Kohls Mythos ist anders, dunkler, trauriger, ohne Glamour. Ein bürgerliches Unglück, das Versinken in der Nacht. Aber auch dieser Tod lässt sich als Sieg deuten, ein Triumph über Verhältnisse, in denen es für eine Frau so schwer war, das Wort "ich" zu sagen.

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